Du armer Hund
Einst galt er als bester Freund des Menschen. Aber seit habgierige Händler mit ihm schmutzige Geschäfte machen, ist die uralte Freundschaft kaputt. Unsere Reporterin Gabrielle Kleinert kaufte fünf Welpen und liess sie untersuchen. Alle waren krank an Körper oder Seele. Eine haarsträubende Geschichte
Die Reise ins Elend beginnt in Willisau LU. Ich stehe vor der Holztür eines kleinen Hauses, gleich neben dem Bahnhof. Ein massiger Mann öffnet – furchiges Bauerngesicht, grobe Hände, vielleicht 60 Jahre alt. Mürrisch begrüsst er mich: «Na, dann kommen Sie mal mit», und geht wortlos an mir vorbei durch den Garten. Er will mir einen West Highland White Terrier verkaufen. Die Rasse ist bekannt aus Werbespots für edlere Produkte. Doch was ich hier zu sehen bekomme, ist ein Hundegefängnis: Eingesperrt im Gartenschuppen, hinter einem Bretterverschlag, auf blankem Beton hält dieser Mann die Terrier-Mutter und drei Welpen. Die Hündin bellt. Er begrüsst sie mit keinem Wort, sagt nur: «Westies sind nicht anspruchsvoll.» Schlaff liegen die Welpen in einer vergammelten Wanne, machen keinen Mucks. Der Alte fährt mich an: «Westies sind gefragt, entscheiden Sie sich schnell. Nur 1000 Franken.»
Als ich nicht sofort auf den Deal einsteige, führt er mich ins Haus, will mir eine Sheltie-Hündin – bekannt als kleiner Collie – zeigen und prahlt: «Das ist dann ein anderes Kaliber als der Terrier!» Besser hat sie es nicht: Die Hündin liegt unter dem Küchentisch, zwei Welpen an der Seite. «Weg da!», blafft sie der Mann an. Die Hündin duckt sich, kneift den Schwanz ein. Eigentlich müsste sie jetzt ihre Jungen vor mir beschützen – stattdessen verzieht sie sich scheu in die Ecke. Die Welpen kriechen hilflos über die Decke, suchen nach dem warmen Fell der Mutter. Einer ist nur halb so gross wie der andere – eindeutig eine Missbildung. Der Mann dröhnt: «Shelties sind mühsame Hunde. Nur wenn man sie gut erzieht, sind sie normal im Kopf.»
Ich habe genug von diesem Hunde-Jammer und gehe ohne ein Tier zu kaufen. Kopfschüttelnd verabschiedet mich der Alte: «Sie sind ein schwieriger Fall.»
Dieser Mann ist nicht irgendein Hundebesitzer. Er ist – ganz offiziell – Zuchtbuchführer des Schweizerischen Internationalen Hundesport-Verbands IHV. Verbände wie der IHV – wie viele es davon in der Schweiz gibt, weiss keiner – sind ein Sammelbecken für alle Hundeverkäufer, die es nicht in die Schweizerische Kynologische Gesellschaft SKG geschafft haben, von ihr ausgeschlossen wurden oder die strengen Zuchtregeln nicht akzeptieren wollen.
Mein nächster Hund – ein Toypudelwelpe – führt mich nach Madetswil ZH. Ich habe ihn über ein Inserat in der «Tierwelt» gefunden. Hoch über dem Dorf, an einem einsamen Hang steht das Haus der Verkäuferin – es ist ein altes Chalet.
An einem Plastiktisch wartet die Hundeverkäuferin im Trainingsanzug – im Garten. Hausbesuche sind bei ihr verboten. Sie gratuliert: «Einen reinrassigen Toypudel kriegen Sie nirgendwo billiger.» Dann übergibt sie mir den Welpen, er heisst Rolli von Jennyland.
Müde liegt Rolli in meinen Armen, sein Fell ist voller Schorf. Die Frau: «Das ist normal bei einem kleinen Hund.» Und weiter: «Ich verkaufe keine kranken Tiere. Da würde ich mich ja selber bescheissen.» Ich zahle den vereinbarten Preis von 1575 Franken, die Frau schiebt den Kaufvertrag über den Tisch, steckt das Geld ins Portemonnaie und zeigt die Ahnentafel der Pudelmutter: Alle Vorfahren von Rolli stammen aus Tschechien. Er soll in der Schweiz geboren sein. Ob das stimmt, weiss ich nicht.
Und dann – Zufall? Die Unterschrift auf der Ahnentafel stammt vom «Zuchtbuchführer» – dem Mann, der Shelties unter dem Küchentisch produziert. Von der SKG will die selbsternannte Pudelzüchterin nichts wissen: «Die machen viele Dinge falsch, haben ganz schlechte Hunde. Bei denen möchte ich nie Mitglied sein.»
Rolli ist krank, voller Milben und Parasiten. Zum Spielen und Tollen fehlt ihm die Kraft, er gibt keinen Laut von sich. Auf schnellstem Weg bringe ich ihn ins Tierspital der Universität Zürich, zu Flurin Tschuor – der Tiermediziner prüfte jeden der Welpen, die ich während meiner Recherche kaufte, auf Herz und Nieren. Rolli bleibt vier Tage in Quarantäne.
Merkwürdig: Kaufvertrag und Impfpass tragen die gleiche Handschrift – ob Züchterin und Tierarzt ein und dieselbe Person sind? Nein. Der Impfausweis verrät den Namen des Arztes: Es ist Gabor Bilkei. Wegen eines Tötungsdelikts sass der Veterinär jahrelang im Gefängnis, führt nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe jetzt wieder eine Praxis in Dübendorf ZH. Er hat meinen Welpen geimpft und den Impfpass wahrscheinlich von der Züchterin selbst ausfüllen lassen. Mir ist ein wenig flau, als ich Bilkei anrufe, um die Sache mit meinem kranken Rolli zu klären. «Das ist bei Tieren dieser Züchterin nichts Aussergewöhnliches», speist er mich ab. Und dann: «Ist doch schön, dass Ihr Hund keine Würmer hat!»
Weiter geht meine Reise durch das Schweizer Hundeelend. Im Emmental besuche ich einen Bauern, der sich auf Labradors spezialisiert hat. In einem früheren Kuhstall hält er sieben Hündinnen, «Wiiber», wie er sie nennt. Weit weg von den Muttertieren, hinter Gittern und auf grobem Stroh, fünf Welpen: feines Fell, grosse Augen, nicht älter als fünf Wochen. Für die Kleinen hängt eine Wärmelampe von der Decke – dabei wäre Mutterliebe so wichtig für sie. Besser wird der Mann seine Kälber früher auch nicht gehalten haben. Ein «Hundeli» verkauft er ohne Stammbaum zum Preis von 700 Franken. Dem SKG will er nicht angehören. «Züchten ist nicht so schwer», sagt der Hundebauer.
Züchten heisst nicht vermehren, sondern die Rasse verbessern – so sagen es die Regeln der SKG. Seinen Mitgliedern schaut der Verband streng auf die Finger: Zuchtstätten werden regelmässig kontrolliert, Elterntiere einer Zuchtzulassungs-Prüfung unterzogen. Eine Hündin darf in zwei Jahren nur zweimal werfen. Jeder Wurf wird geprüft und registriert; das Jungtier darf erst nach wiederholter Entwurmung und Impfung abgegeben werden – frühstens in der neunten Lebenswoche.
Doch der Hundehandel ist ein lukratives Geschäft: In der Schweiz lebt rund eine halbe Million Tiere, 100 000 davon reinrassig mit Stammbaum. Solche Welpen kosten zwischen 1500 und 2500 Franken das Stück, ohne Stammbaum immer noch 1000 Franken. Mit fünf bis sieben Muttertieren kommt ein gewissenloser Hundeproduzent locker auf mehrere Zehntausend Franken im Jahr. So nennt sich noch schnell einer «Züchter», der mit Massenproduktion nur das schnelle Geld machen will.
Die schlimmsten Hundefabriken aber liegen in den östlichen Mitgliedsländern der EU. In ausrangierten Schweineställen werden ganze Armeen von Muttertieren wie Gebärmaschinen gehalten. Gnadenbrot gibts für diese Hunde keins: Wer ausgedient hat, wird mit Eisenstangen erschlagen oder ertränkt. Seit Öffnung der Grenzen wird der Schweizer Markt mit Billig-Welpen aus diesen brutalen Hundeproduktionsstätten überschwemmt – mit Tieren, die von Anfang an nur schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, vielfach verhaltensgestört sind. Hierzulande gelten sie dann als «Problemhunde» – im schlimmsten Fall, wenn sie Menschen angreifen, werden sie eingeschläfert.
Der Kauf solcher Hunde ist kein Problem: Im Internet finde ich allein für die Schweiz sechs Websites mit Inseraten von Händlern aus dem Osten. «Ich habe sehr schönes Siberian Husky Welpe zu verkaufen mit Stammbaum», lese ich an einem Abend unter www.bazarclick.ch. Und: «Ich kann an Grenze bringen, kostet 360 Euro.» Ein reinrassiger Husky mit Ahnentafel für 540 Franken? Das muss ein Hundehändler sein. Ich bestelle.
Den Husky kaufe ich sozusagen bei Mc Donalds in Weil am Rhein (D). Dort haben mich die Typen hinbestellt, für Samstagabend, 23 Uhr. Das Logo mit den Neon-Bögen leuchtet über dem Parkplatz. In der vierten Reihe ein dunkler Škoda: polnisches Kennzeichen.
Zwei Männer sitzen rauchend hinter heruntergekurbelten Scheiben: die Hundehändler. Ich gehe auf den Wagen zu, der ältere steigt aus. Er sieht müde aus. Grusslos fragt er: «Hund bestellt?» und deutet mit dem Kinn auf die Rückbank. Zwei Welpen mit hellblauen Augen und dichtem weiss-schwarzen Fell kauern ängstlich aneinandergepresst auf einer zerschlissenen Wolldecke. Der dritte hat sich auf dem Autoboden verdrückt. Kein Wasser, kein Futter, keine Transportbox. Es stinkt nach Kot und Urin, nach abgestandenem Aschenbecher. Die Tiere sind verstört.
Der Alte greift durch das Fenster, will den ersten packen. Der Welpe duckt sich, versucht, seinem Peiniger zu entkommen. Keine Chance. Der Mann greift ihm unter den Bauch, hebt ihn hoch und schiebt ihn mir entgegen. Eva, ein acht Wochen altes Weibchen. Sie presst ihren Kopf an meine Schulter, krallt sich am Pulli fest, sucht die Wärme, die ihr so lang gefehlt hat.
Der Jüngere ist jetzt auch ausgestiegen. Er sei der Sohn, er mache Kasse. Ich zahle die 360 Euro. Aus der Hosentasche klaubt er einen zerfetzten Zettel. Meine Quittung: 200 Euro. Er belehrt mich: «Ist egal, was da steht.» Dann sagt sein Vater: «Bin eigentlich Tischler. Wollen Sie Hundehaus? Fast günstig wie Hund.» Ich verzichte, rase mit Eva Richtung Tierspital.
Das kleine Tier ist total ausgetrocknet, vom Hundespulwurm befallen und hat eine Lungenverdichtung. Wie Rolli bleibt auch Eva im Spital. Anfangs zuckt sie beim Klang jeder männlichen Stimme zusammen – erst nach viel Zuneigung und Liebe baut sie allmählich Vertrauen auf.
Wenige Tage später am Bahnhof Lindau (D): Vor dem Hauptportal treffe ich einen Hundehändler aus Tschechien. Im Kofferraum seines Kombis zeigt er mir seine billige Ware: Sechs Chihuahua-Welpen, «mit Ahnentafel und alles», wie der bärtige Typ verspricht. Die Tiere drängen sich in zwei Boxen aneinander, sie zittern, geben keinen Laut von sich. Der Kerl prahlt: «Meine Chihuahuas verkaufe ich alle in die Schweiz.» Dann überreicht er mir eines der winzigen Tiere. Die Ahnentafel will er später schicken – per E-Mail. Ich warte noch heute. Das bisschen Hund strampelt in meinen Armen, sein Fell ist stumpf und fettig, es hat Angst. Im Pass steht kein Name, «mir gleich, wie Sie den nennen!».
Ich fahre mit Leo, so taufe ich den herzigen Welpen, über die Schweizer Grenze. Trotz gut sichtbarer Transportbox auf der Rückbank winkt uns der Grenzwächter durch. Ich verzolle Leo trotzdem, zahle 7,6 Prozent Mehrwertsteuer. Einen Kaufvertrag habe ich nicht, nenne mündlich den Betrag. Der Zöllner kontrolliert die auf Tschechisch ausgefüllten Einfuhrpapiere und schimpft: «Ein Tier kauft man doch nicht aus dem Osten!» Leo will er nicht sehen. «Kontrollen können wir nur stichprobenweise machen», sagt Walter Pavel vom Schweizer Zoll in Bern, «wir haben nicht das nötige Personal.» Aber: «Die Grenzwächter müssen die Vorschriften kennen, die bei der Einfuhr von Tieren gelten.» Die Hunde im Auto müssen nicht zwingend besichtigt werden.
Den süssen Mops Hugo kaufe ich an der Tankstelle in Lörrach (D), bei einem Brüderpaar aus Slowenien. Eine besonders triste Übergabe: Zwischen Lastwagen und Autos setzt der jüngere der beiden Typen Hugo auf den Asphalt. Der kleine Hund wackelt unsicher auf seinen Stummelbeinchen, fällt, rappelt sich auf, drückt sich wieder ängstlich auf den Boden. Die Hundehändler lachen, der eine bemerkt: «Da kannst du zufrieden sein! Wir haben nur spitze Hunde.» Ich will so schnell wie möglich ins Tierspital, zahle 855 Franken. Zum Abschied schärfen mir die Mopsdealer ein: «Du musst viel Werbung für uns machen.»
Laut Impfausweis soll Hugo acht Wochen alt sein. Doch er ist, da sind sich die Experten einig, nicht älter als sechs. Das ist fatal für den Kleinen. In den ersten Lebenswochen bildet sich der Grundcharakter eines Hundes. Wird ein Welpe zu früh von der Mutter getrennt, können körperliche Mängel und Verhaltensschäden zurückbleiben, die nicht wieder gutzumachen sind. Ob Hugo später zum «Problemhund» wird, kann noch niemand wissen.
Ich will endlich einen gesunden Hund! Und probiere es noch einmal in der Schweiz. In der «Tierwelt» lese ich: «Zu verkaufen: junge, lustige, sehr schöne Yorkshire Terrier. Liebevoll in Haus und Garten aufgezogen.» Zuversichtlich steuere ich die Zucht an, es ist der Vereinssitz vom nicht SKG anerkannten Yorkshire Terrier Club. Das Haus steht mitten in einem Wohnquartier in Killwangen AG. Hier lebt der Zuchtbuchführer mit zwanzig Terriers. Ich bekomme den Mann nicht zu Gesicht – seine Frau fängt mich im Vorgarten ab, zwei Hündinnen mit Welpen an ihrer Seite: «Hunde dürfen hier aber nur hin, wenn Besuch kommt.» Den restlichen Garten bekomme ich nicht zu sehen.
Die Terrier-Verkäuferin führt mich ins «Hundezimmer» – Zutritt nur für Käufer. Angetrocknetes Futter steht auf dem Tisch, hinter Gittern kauert ein Wurf Welpen. Kein Hundelaut stört die Ruhe im Haus. «Bellen ist bei uns verboten», bellt die Frau und gibt gleich strenge Anweisung für mein kleines anhängliches Welpen-Mädchen Eischa: «Eifach sofort schrupfe, wänn sie bällt. Dänn händ sie keini Problem.»
Trotz dem traurigen Lebensstart: Eischa ist wenigstens körperlich gesund, tollt herum und spielt. Nur ein Schneidezahn fehlt ihr. Obwohl die Frau ein intaktes Milchgebiss vertraglich zugesichert hat – um so den vollen Preis von 1800 Franken zu kassieren.
Nachdem er Eischa untersucht hat, warnt Doktor Tschuor: «Bei Ihren Welpen können später noch viele vererbte Krankheiten auftreten. Gerade bei Tieren, die von einem lieblosen Produzenten oder aus einer Hundefabrik im Ausland kommen, weiss man nie, was man kauft.» Die meisten kranken Importhunde bekommt Tschuor aber gar nicht erst zu Gesicht: «Oft gehen die Besitzer bei Problemen in die Tierarztpraxis. Dann sind die Tiere meist schon so krank oder verhaltensgestört, dass sie der Veterinär von ihren Leiden erlösen muss.» Und dann sagt Tschuor resigniert: «Aber Hundezucht ist nun mal ein Business. Und das muss vor allem eines: Profit abwerfen.»
Ich hätte noch viel mehr Hunde kaufen können. Das Resultat wäre – da bin ich sicher – nicht besser. Eher schlechter. Meine fünf Welpen sind inzwischen in guten Händen. Das Tierheim Rümlang ZH suchte ein neues Plätzchen für sie – «das haben die armen Kreaturen verdient», so Heimleiter Gustav Fretz. Fast alle Welpen sind heute gesund und können sich auf ein schönes Leben freuen. l
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