Boxenstopp
Die Set-Top-Boxen für digitales Kabel-TV erregen Unmut
Dass mit dem Umstieg auf digitales Kabel-TV oft auch eine bestimmte Set-Top-Box gekauft oder gemietet werden muss, stellt für viele ein Ärgernis dar. Die Stiftung Konsumentenschutz intensiviert den politischen Kampf gegen dieses «Gerätemonopol».
S. B. Obwohl die Fernseher immer flacher werden, braucht es für das Heimkino immer mehr Platz. In den Wohnzimmern häuft sich eine immer grössere Vielfalt an Geräten und Apparaten, Kistchen und Kästchen, ein Wirrwarr von Kabeln und Adaptern. Dagegen, dass viele Kabelnetzbetreiber mit Digital-TV auch noch ein eigenes Kästchen ins Wohnzimmer bringen, regt sich Widerstand.
Im vergangenen Sommer hat Ständerätin Simonetta Sommaruga, Präsidentin der Stiftung Konsumentenschutz (SKS), im Ständerat eine Motion eingebracht, mit der der Bundesrat beauftragt werden soll, bei der Verbreitung von Digital-TV proprietäre Verschlüsselungsverfahren, die als Ursache des «Gerätemonopols» vermutet werden, zu verbieten. Der Ständerat hat die Motion gutgeheissen. Am 20. Mai wird die nationalrätliche Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen über die Motion diskutieren. Im Hinblick darauf und um dem «Lobbying der Cablecom» etwas entgegenzusetzen, hat die SKS eine Online-Petition¹ lanciert, die noch bis am 11. Mai unterzeichnet werden kann.
Politische Grundsatzdebatten
Was ist denn an diesen Digital-TV-Set-Top-Boxen so Besonderes dran, dass sie Bürgerproteste, Emotionen, parlamentarische Motionen und politische Grundsatzdebatten zu provozieren vermögen? Es sind kleine Kistchen mit Prozessor, Speicher, Betriebssystem und Netzwerkanschluss – Computer halt. Aus technischer Sicht ist das Besondere eigentlich nur, dass sie sich der Dynamik der Digitaltechnik bisher haben entziehen können, dass sie verstaubt und ungeliebt ein Mauerblümchendasein fristen. Dass bei einigen Kabelnetzbetreibern der Kunde bei der Auswahl dieses Gerätes nichts zu sagen hat, verteidigt Claudia Bolla-Vincenz im persönlichen Gespräch mit dem Argument, dass der rasante technische Fortschritt und das Fehlen von gefestigten Standards es nötig machten, die Wahlfreiheit der Kabelnetzkunden einzuschränken. Bolla-Vincenz ist Geschäftsführerin von Swisscable, dem Branchenverband der Schweizer Kabelnetzbetreiber.
Ähnlich argumentiert im Telefoninterview Frank Boller, Marketingchef bei Cablecom. Der Markt sei noch jung, es fehle an verbindlichen Standards. Nur wenn alle Elemente der Lösung aus einer Hand offeriert würden, habe man die Gewähr, dass alles reibungslos funktioniere. Das Kabelnetz, die Cablecom-Netzwerkzentrale und die Set-Top-Box beim Kunden bildeten ein komplexes Ganzes; nur solange Cablecom alle Elemente dieses Ganzen kontrollieren könne, sei technisch hochstehendes Digital-TV mit interessanten Zusatzfunktionen realisierbar. Für einige Zusatzfunktionen – beispielsweise Pay-TV-Angebote – sei Verschlüsselung unabdingbar. Für eine Verschlüsselung, die höchsten Ansprüchen gerecht werde, fehle es an Standards. Wenn man fortgeschrittenes Digital-TV wolle, dann müsse man die Verschlüsselung akzeptieren, wenn man die Verschlüsselung akzeptiere, dann müsse man auch Einschränkungen bei der Wahl der Set-Top-Box hinnehmen.
Auf der Suche nach Standards
Die Art und Weise, wie einige Kabelnetzbetreiber proprietäre Set-Top-Boxen verteidigen, erinnert an die PTT-Beamten, die vor Jahrzehnten argumentierten, ein Telefonnetz könne nicht funktionieren, wenn die Abonnenten ihre Geräte nicht vom Netzwerkbetreiber mieteten, sondern von irgendeinem Anbieter vielleicht sogar im Ausland selber aussuchten. Und heute? Und heute gibt es wohl kaum ein von Menschen geschaffenes System, das so vielfältig ist und heterogen wie das Telefonnetz, es vereinigt eine Fülle von verschiedenen Endgeräten und Subsystemen und Übertragungsmechanismen und entzieht sich der Kontrolle auch der mächtigsten Telefongesellschaft. Und trotzdem funktioniert es. Es funktioniert, weil es klar definierte Standards gibt und ökonomische Anreize für die Hersteller, sich an diese Standards zu halten und sie dem technischen Fortschritt folgend weiterzuentwickeln.
Im Bereich des digitalen Kabelfernsehens gibt es sehr wohl Standards, aber es fehlen offenbar die ökonomischen Anreize, die eine grössere Zahl von Herstellern dazu bringen könnten, diese Vorgaben umzusetzen, zu verfeinern, weiterzuentwickeln. Die in diesem Bereich massgebenden Standards werden seit 15 Jahren vom Digital Video Broadcasting (DVB) Project,² einem breit abgestützten in Genf domizilierten Konsortium, erarbeitet. DVB-C beispielsweise regelt die Übertragung von Digital-TV über Kabelnetze. Ein standardisiertes Zugangsberechtigungssystem, bestehend aus Common Interface und Conditional Access Module, erlaubt das Freischalten einer Box für ein bestimmtes Kabel-TV-Angebot. Dieses Zugangsberechtigungssystem ist vom Betriebssystem unabhängig. Um ein Gerät in ein anderes Kabelnetz einzubringen, muss lediglich eine Chipkarte ausgetauscht werden. Es ist keineswegs so, dass freie Gerätewahl und Grundverschlüsselung sich gegenseitig ausschliessen.
Bei Cablecom sind aber diese beiden Dinge nicht zusammen zu haben, weil dieser Kabelnetzbetreiber dem Common Interface nicht traut. Das Sicherheitsniveau dieser Lösung sei nicht hoch genug, sagt Boller. Stattdessen nutzt Cablecom eine Technik der Schweizer Firma Kudelski, die eng dem Open-TV-Betriebssystem der Cablecom-Box verbandelt ist. Indem sich diese Sicherheitslösung nicht an die vorgegebenen, standardisierten Schnittstellen hält, indem das Zusammenspiel der kryptografischen Module verdunkelt wird, soll offenbar die Sicherheit erhöht werden. Kudelskis Zugangsberechtigungssystem für Kabel-TV hatte in der Vergangenheit den Hackern wenig entgegenzusetzen. Premiere, einer von Kudelskis Vorzeigekunden, wechselt jetzt zur Konkurrenz, zur britischen Firma NDS, die von einem amerikanischen Kudelski-Kunden gerichtlich belangt wird, weil sie die Hacker, die das Kudelski-System aushebelten, bezahlt haben soll.
Ausblick
Die Kunden möchten bei der Wahl der Set-Top-Box frei sein; die Kabelnetzbetreiber möchten den Kunden enger an sich binden, möchten in den Wohnzimmern eine eigene Plattform besitzen, auf der sie lukrative Zusatzangebote aufbauen können; die Politiker möchten sich nicht mit den technischen Details von Digital-TV beschäftigen müssen. Wie weiter? Was passiert, wenn auch der Nationalrat die Motion Sommaruga unterstützt? Auf der Grundlage der geltenden Gesetze sei die von der Motion angestrebte Verordnung nicht möglich, glaubt Bolla-Vincenz. Zuerst müssten das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) und möglicherweise das Fernmeldegesetz geändert werden. Dabei sei aber nicht einzusehen, warum die Verbreitung von Digital-TV nur im Kabelnetz und nicht auch im Internet bis ins technische Detail geregelt werde.
Würde man auch beim Internetfernsehen (IPTV) die freie Wahl der Endgeräte vorschreiben, wäre dies das Ende von Swisscom Bluewin-TV, das auf proprietärer Software von Microsoft beruht. Denn Microsoft, so heisst es auf Anfrage bei Swisscom, sei nicht bereit, ihre Software auf Wunsch der Schweizer Konsumenten zu öffnen. So hoffen denn die Kabelnetzbetreiber, ihre halbproprietären Lösungen hinter dem breiten Rücken von Microsoft am skeptischen Auge des Gesetzgebers vorbeischmuggeln zu können. Doch auch wenn der Gesetzgeber ein Einsehen hat und darauf verzichtet, den technischen Fortschritt verordnen zu wollen, so sind die Kabelnetzbetreiber – Cablecom vor allem – die unzufriedenen Kunden noch lange nicht los.
¹ www.grundverschluesselung.ch ² www.dvb.org
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