«Als Regulator machen wir den Wettbewerb erst möglich» (Startseite, NZZ Online)«Als Regulator machen wir den Wettbewerb erst möglich»
ComCom-Präsident Marc Furrer zur Lage des Schweizer Telekommarktes zehn Jahre nach der Liberalisierung
Am 1. Januar 1998 wurde der Schweizer Telekommarkt liberalisiert. Im Gespräch äussert sich der Präsident der Telekom-Regulierungsbehörde, der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom), zu den Erfolgen und Misserfolgen der Liberalisierung und zu künftigen Herausforderungen. Die Fragen stellten Matthias Benz und Giorgio V. Müller.
Herr Furrer, was war der grösste Fortschritt der vor zehn Jahren begonnenen Liberalisierung des schweizerischen Telekommarktes?
Marc Furrer: Wir gaben uns 1998 drei Ziele: Die Qualität der Telekomdienste sollte gut bleiben oder noch besser werden, die Preise sollten erheblich sinken – und das nicht nur für die Grosskunden, sondern auch für die Konsumenten –, und schliesslich sollte dies in der ganzen Schweiz geschehen, die Grundversorgung war also zu garantieren. Heute können wir feststellen, dass die Preise im Schnitt um mindestens 50% gefallen sind und die Schweiz eine der modernsten Telekom-Infrastrukturen hat. Unsere Grundversorgung verlangt einen breitbandigen Internetzugang, was sonst nirgendwo auf der Welt garantiert ist. Wir haben also die Ziele der Marktöffnung erreicht. Und insgesamt hat auch die Anzahl Arbeitsplätze in der Telekombranche leicht zugenommen. Die Angst, dass mit der Liberalisierung viele Stellen verloren gehen würden, war unbegründet.
Was war die grösste Enttäuschung?
Rückschläge gab es immer wieder. Ein ungelöstes Problem ist, dass nicht ein oder zwei andere grosse Telekomunternehmen neben der Swisscom entstanden sind. Die Marktanteile der Ex-Monopolistin sind nach wie vor hoch, je nach Gebiet zwischen 40% und 90%. Das kann man der Swisscom aber nicht anlasten, sie leistet gute Arbeit.
Ist nicht das langsame Tempo der Liberalisierung etwas ernüchternd? Die Swisscom steht im Ruf, möglichst viele Steine auf dem Weg der Marktöffnung zu placieren, damit diese verzögert wird.
Das machen alle Ex-Monopolisten. Natürlich ist dies frustrierend. Es war deshalb falsch, die Entbündelung der «letzten Meile», der Hausanschlüsse der Swisscom, nicht schon 1998 einzuführen. Wir hätten heute günstigere Breitbandangebote, auch von der Swisscom-Konkurrenz, wenn dies geschehen wäre. Ein anderer Grund für die Verzögerungen liegt im Schweizer Unikum der Ex-post-Regulierung: Der Regulator kann Netzzugangstarife erst im Nachhinein festlegen, oft nach jahrelangen Rechtsverfahren. Dabei sind heute alle Beteiligten der Überzeugung, dass eine Ex-ante-Regulierung die bessere Lösung wäre, weil sie eine grössere Rechtssicherheit brächte.
Ist eine Ex-post-Regulierung für eine schnelllebige und sich stark verändernde Branche nicht die geeignetere Form?
Vom Grundsatz her ist es richtig, dass man den Telekomanbietern den Primat des Verhandelns lässt. Doch es hat sich einfach nicht bewährt. Schlichtungen haben gar keine Chance, weil es um sehr viel Geld geht. Wir bemühen uns deshalb innerhalb unserer derzeitigen Entscheidpraxis, eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen. Dennoch fehlen den Unternehmen, die Geschäftspläne aufstellen müssen, verlässliche Angaben.
Ist es tatsächlich der Fall, dass alle Anbieter eine Ex-ante-Regulierung wünschen?
Diesen Eindruck habe ich mittlerweile, denn es wäre allen besser gedient. Doch das Gesetz sieht es anders, und so müssen wir damit leben.
Wäre es nicht an der Zeit, den Telekommarkt zehn Jahre nach der Liberalisierung wie einen «normalen» Markt zu behandeln und die Sektor-Regulierungsbehörde abzuschaffen?
Das Fernziel ist sicher, keine Sektor-Regulierung mehr zu haben. Ein Bundesamt für Kommunikation oder eine ComCom wird es allerdings immer brauchen, allein um die Grundversorgungskonzession zu überwachen oder die knappen Frequenzen zu verwalten. Leider sind wir vom Fernziel noch weit entfernt, denn heute bestehen mehr Zugangsprobleme als 1998. Die Preisfrage bei der Entbündelung der «letzten Meile» ist etwa noch nicht geregelt, auch viele technische Fragen sind noch offen. Als Regulierungsbehörde machen wir den Wettbewerb erst möglich, weil sonst der Ex-Monopolist den Konkurrenten kaum Zugang zum Markt gewährt oder nur zu schlechten Bedingungen.
Die Telekombranche entwickelt sich rasant in neue Gebiete. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Regulierungskompetenz in Zukunft auf Glasfasernetze ausgedehnt wird?
Fiber-to-the-home, also der Anschluss der Haushalte an Glasfasernetze, wird tatsächlich zum Thema, weil die Anbieter hier aller Voraussicht nach ebenfalls den Zugang teilen müssen. Daher wäre es wichtig, dass man im Voraus den Grosshandelspreis für diese Angebote festlegen könnte. Interessant ist, dass die Unternehmen selbst zu uns kommen und nach einer Regelung fragen, denn es entstehen neue technische Monopole. Die bestehende Entbündelungs-Gesetzgebung reicht dazu nicht aus, denn sie betrifft nur die Kupferkabel der Swisscom.
Im Bereich Glasfaser mischt der Staat bereits wieder mit, zum Beispiel beim Bau von Stadtnetzen, und Sie stellen nun eine staatliche Regulierung in Aussicht. Ist es nicht zu früh, um in diesem jungen Bereich schon regulierend einzugreifen?
Derzeit können und wollen wir nicht eingreifen. Das Bedürfnis nach einer Regulierung kommt von den Anbietern selbst. Ich bin aber nicht der Meinung, dass es überall eine Regulierung braucht. Im Vergleich mit den EU-Ländern kennt die Schweiz eher eine liberale Regulierung, die den Marktkräften zuerst eine Chance gibt. Aber wenn wieder Monopole entstehen – das können auch lokale sein –, müssen wir den anderen Anbietern Zugang verschaffen.
In welcher Form hat sich denn die liberalere Regulierung in der Schweiz ausgezahlt?
Bei den Breitband-Anschlüssen half sicher der Infrastrukturwettbewerb, vor allem die Konkurrenz zwischen der Swisscom und den Kabelfernseh-Anbietern. Die Schweiz hat eine gute Breitband-Erschliessung, doch zu einem relativ hohen Preis. Mit einer früheren Entbündelung hätte man auch Serviceanbietern ohne eigene Infrastruktur die Möglichkeit geben können, in diesen Wettbewerb einzusteigen. Es ist schade, dass dies nicht schon 1998 umgesetzt wurde.
Hätte nicht eine frühere Entbündelung viele Investitionen verhindert? Die Cablecom wäre vielleicht gar nicht in den Telekommarkt eingestiegen, und der Infrastrukturwettbewerb hätte sich nicht in diesem Ausmass entwickelt.
Ich teile diese Ansicht nicht. Die Cablecom musste davon ausgehen, dass sie in ihrem Kernbereich der Fernsehverbreitung einmal angegriffen wird. Sie musste ihr Infrastrukturangebot so oder so erweitern. Das Gleiche gilt für die Swisscom, wollte sie die wachsenden Bedürfnisse ihrer Kunden befriedigen. Aber ich stimme zu, dass man bei einer zukünftigen Regulierung der Glasfasernetze aufpassen muss, dass man Investoren nicht abschreckt.
Was 1998 verpasst wurde, war eine vollständige Privatisierung der Swisscom. Könnte man noch mehr Dynamik in den Telekommarkt bringen, indem diese Privatisierung bald nachgeholt würde?
Grundsätzlich hat sich die ComCom für eine Privatisierung der Swisscom ausgesprochen. Aber es wäre falsch zu glauben, dass sich für die Konsumenten viel ändern würde, wenn die Swisscom zu 100% Privaten gehören würde. Das Verhalten eines Unternehmens hängt eher mit seiner Marktposition zusammen, mit der Struktur des Marktes insgesamt, und weniger mit dem Eigentümer. Für die Konsumenten war die Öffnung des Telekommarktes viel entscheidender. Ich glaube zudem, dass eine Privatisierung in einer Volksabstimmung momentan keine Chance hätte, selbst wenn das Parlament ihr zustimmen würde.
In der Politik und der Bevölkerung herrscht die Angst, dass nur eine staatliche Swisscom den Service public gewährleisten kann. Man telefoniert heute aber beispielsweise mit mehreren Anbietern problemlos in der ganzen Schweiz mit dem Handy. Halten Sie das Grundversorgungs-Argument noch für stichhaltig?
Die Grundversorgung ist eine sehr wichtige Errungenschaft, die in der Schweiz zu Recht hochgehalten wird. Wir garantieren die beste Grundversorgung der Welt. Aber die Swisscom ist dazu per Konzession verpflichtet, ganz unabhängig davon, ob sie dem Bund oder einem privaten Eigentümer gehört. Die Grundversorgung ist deshalb das falsche Argument, um den Staatsbesitz der Swisscom zu rechtfertigen. Die Ängste der Bevölkerung diesbezüglich sind unbegründet.
Im Mobilfunk sind die Preise in den vergangenen zehn Jahren markant gesunken. Herrscht trotzdem zu wenig Wettbewerb im Mobilfunkmarkt?
Im Mobilfunk gibt es systembedingt wenige Anbieter, weil der Aufbau eines Mobilfunknetzes in der Schweiz sehr teuer ist. Das liegt auch daran, dass wir im Vergleich mit dem Ausland zehnmal höhere umweltrechtliche Vorschriften haben. Zudem gibt es in den Gemeinden sehr viele Einsprachen gegen den Bau von Mobilfunkantennen, was den Aufbau eines Netzes erschwert und verteuert.
Wäre die Vergabe einer weiteren Mobilfunkkonzession also keine Lösung, um den Wettbewerb zu verschärfen?
Wenn sich ein Unternehmen interessiert, stehen wir niemandem vor dem Glück. Wir hätten sogar die nötigen Frequenzen für eine weitere Konzession. Das Problem liegt einfach darin, dass der Schweizer Markt zwar ein guter Markt ist – die Leute sind bereit, etwas zu bezahlen, sie telefonieren viel –, aber es ist eben kein grosser Markt. Und die hohen Infrastrukturkosten für ein eigenes Netz schrecken neue Anbieter ab.
Was muss sichergestellt werden, damit die Schweiz auch in zehn Jahren noch einen innovativen und wettbewerbsfähigen Telekommarkt hat?
Das Wichtigste ist, dass man allen Anbietern den Marktzugang zu fairen Bedingungen ermöglicht und dass dank dem Wettbewerb Anreize für Innovationen und Investitionen bestehen. Dies sicherzustellen, ist unsere Kernaufgabe als Regulator. Der Grundsatz gilt für alle Technologien, sowohl für die Fest- und Mobilfunknetze als künftig auch für die Glasfasernetze.
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