18. November 2007
«Preisvergleich mit Ausland hinkt»Swisscom-Chef Schloter sieht Preise für schnellen Internetzugang sinkenDie Konkurrenten der Swisscom können bald Leistungspakete für schnelle Internet-Verbindungen und für Sprachtelefonie anbieten, die 30 bis 40 Prozent billiger sind als vergleichbare Angebote der Swisscom. Das stellte Swisscom-Konzernchef Carsten Schloter im Interview der «NZZ am Sonntag» in Aussicht. Der Swisscom-Chef kündigte gleichzeitig an, sein Unternehmen werde selbstverständlich reagieren. ...
Die EU will mit Reformen den Wettebewerb im Telekom-Markt beleben. Swisscom-Chef Carsten Schloter erklärt, warum die Schweiz solche Massnahmen nicht braucht – obwohl sein Konzern hier dominiert.
Interview: Chanchal Biswas
NZZ am Sonntag: Kennen Sie Viviane Reding, die Telekom-Kommissarin der Europäischen Union, persönlich?
Carsten Schloter: Unsere Wege haben sich schon gekreuzt, und ich habe sie in öffentlichen Diskussionen erlebt. Persönlich kenne ich die charmante Frau nicht.
Charmant? Für die Branche ist Viviane Reding ein rotes Tuch, nicht erst seit Dienstag, als sie ein Reformpaket für den Telekom-Markt vorgestellt hat. Was halten Sie von den Vorschlägen?Einige Teilmärkte werden aus der branchenspezifischen Regulierung entlassen. Das ist ein positiver Aspekt. Weniger positiv sind die Vorschläge, die Telekomnetze in der EU funktionell zu trennen und eine Super-Regulierungsbehörde zu schaffen.
Was bedeutet funktionelle Trennung der Netze?
Dabei bringt ein Telekomanbieter sein Netz in eine separate Gesellschaft ein, die allen interessierten Firmen den Zugang zur Netzinfrastruktur ermöglicht. Es geht also nicht darum, den Netzeigentümer zu enteignen. Die funktionelle Trennung kann unter besonderen Umständen eine heilsame Wirkung auf den Markt haben. Aber auch Viviane Reding betont immer wieder, dass diese Medizin nur Märkten verschrieben werden soll, in denen kein Infrastrukturwettbewerb herrscht. In der Schweiz kämpfen Swisscom und Kabelnetzbetreiber wie Cablecom mit eigenen Infrastrukturen um die Kunden.
In der Strombranche ist die Trennung von Netz und Diensten gang und gäbe. Warum nicht auch in der Telekom?
Anders als in Stromnetzen kann man in der Telekommunikation Netz und Dienst nicht ohne weiteres trennen. Zum Beispiel wurden in Deutschland und in Frankreich die Kabelnetze von Betreiberfirmen aufgebaut, die nicht gleichzeitig über die Dienste bestimmten. In Ländern mit einer Trennung werden Investitionen verschleppt. Konkret haben es in Deutschland und Frankreich die Kabelnetzbetreiber verpasst, ihre Netze rechtzeitig für schnelles Internet und Telefonie aufzurüsten.
Wären Sie strikt dagegen, das Swisscom-Festnetz in eine getrennte Gesellschaft auszulagern, bei der dann alle Telekomanbieter einkaufen?Für die Schweiz und Swisscom wäre eine funktionelle Trennung schlecht. Wie gesagt: Aus regulatorischer Sicht ist entscheidend, ob es Wettbewerb zwischen Telekom- und Kabelnetzen gibt oder nicht. Zudem kann ein Dienst wie unser Fernsehangebot Bluewin TV nur entstehen, weil wir die Eigenschaften unseres Festnetzes wirklich kennen und ausnutzen. Der Dienst ist sehr gekoppelt mit den Netz-Eigenschaften. Wenn Swisscom das iPhone, das Handy von Apple, in der Schweiz einführen will, braucht es Anpassungen im Mobilnetz, beispielsweise in der Art und Weise, wie die Mailbox gebaut ist. Die Trennung hemmt Innovation.
Die EU hat eine Senkung der Roaming-Gebühren verordnet. Jetzt telefoniert man auch mit einem Swisscom-Handy im Ausland um bis zu 57% billiger. Aus Sicht der Konsumenten leistet Viviane Reding gute Arbeit.
Wir haben nicht eine drohende Regulierung vorweggenommen, sondern das neue Roaming-Regime in der EU genutzt, um unsere Einkaufskosten zu senken. Die Swisscom hatte die Wahl, den Preisvorteil als zusätzliche Marge einzunehmen oder ihn den Endkunden weiterzugeben. Wir haben uns für Letzteres entschieden, weil das Thema Roaming-Gebühren bei unseren Kunden und in der Öffentlichkeit sehr akut war. Dass wir als erster Schweizer Telekomanbieter eine Senkung vorgenommen haben, ist ein Wettbewerbsvorteil.
Sind die Schweizer Regulatoren weniger aggressiv als ihre Kollegen in der EU?Man tendiert dazu, die Preise in der Schweiz mit jenen im Ausland zu vergleichen und daraus zu schliessen, dass die Regulierung weiter vorangetrieben werden kann. Aber es gilt auch die Qualität der Infrastruktur zu beachten. Da ist die Schweiz an der Spitze, auch weil hier die Pro-Kopf-Investitionen seit Jahren deutlich höher liegen als im Ausland. 2007 wird die Swisscom einen Cash-Abfluss von gegen 150 Mio. Fr. verzeichnen, weil Behörden bis hin zum Bundesgericht entschieden haben, dass wir in der Vergangenheit teilweise überhöhte Interkonnektions-Preise verlangt haben. Das zeigt, dass wir in der Schweiz nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.
Warum sind in der Schweiz Festnetz, Handy und Breitbandanschlüsse für schnelles Internet teilweise deutlich teurer als in anderen Ländern?
Der Preisvergleich mit dem Ausland hinkt, weil andere Länder ihre Telekom-Märkte viel früher liberalisiert haben. Man darf nicht erwarten, dass die Schweizer Preise im zehnten Jahr der Liberalisierung das gleiche Niveau erreichen wie jene in Ländern, die im fünfzehnten Jahr stehen.
Ihre Konkurrenten reichen laufend neue Klagen gegen die Swisscom und ihr Verhalten ein. Wie erklären Sie das?
Diese Klagen sind Teil des Systems. Damit die Schweizer Behörden überhaupt aktiv werden können, muss zuerst jemand klagen. Klagen als Hinweis zu nehmen, dass die Swisscom gegen Grundregeln verstösst, wäre falsch. Zudem muss man sich vor Augen halten, was sich denn ändert, wenn die Forderungen unserer Mitbewerber erfüllt werden. Sunrise beispielsweise klagt, dass sie mit dem Wiederverkauf von Breitbandanschlüssen zu wenig verdiene, weil sie zu teuer bei der Swisscom einkaufen müsse. Solche Klagen sind systemimmanent. Haben sie Erfolg, spült ihnen das viel Geld in die Kasse. Ob der Konsument profitiert, ist nicht sicher.
Swisscom ist im Festnetz, im Mobilfunk und im Breitband-Internet mit Abstand Marktführer und wächst trotzdem schneller als die Konkurrenz. Warum?
Für die letzten Monate trifft dies zu. Zuvor sind die anderen stärker gewachsen. Das ist Wettbewerb.
Im Mobilfunk hat Swisscom 62% Marktanteil, Sunrise und Orange haben je 19%. Es ist doch etwas faul, wenn Sie jetzt am schnellsten wachsen.
Es gibt Studien auch vom Bundesamt für Kommunikation, die zeigen, dass für den Konsumenten nicht nur der Preis zählt. Faktoren wie Image oder Vertrauen spielen auch eine wichtige Rolle. Das sind Dinge, die man der Swisscom nicht vorwerfen kann. Und ohne dass ich ihre Arbeit abwerten will: Die Cablecom hatte in den letzten Monaten ein Imageproblem, weil sie analoge TV-Programme abgeschaltet hat. Das hat sich in schwachen Zuwachszahlen gespiegelt. Auch dafür kann die Swisscom nichts.
Und warum hat Swisscom Erfolg?Wir haben mit verschiedensten Angeboten gezeigt, dass wir offensiv in den Markt gehen. Diese Wetten bescheren uns anfangs Umsatzeinbussen, dafür gewinnen wir Marktanteile. Im Mobilfunk haben wir mit günstigen Stunden-Tarifen und dem M-Budget-Angebot die Preise ins Rutschen gebracht. Im Bereich der schnellen Internetanschlüsse haben wir diese Woche einen weiteren Schritt getan: Wir bieten unseren Mitbewerbern neu nackte DSL-Leitungen zum Wiederverkauf an. Sie können bald flächendeckend integrierte Bündel anbieten.
Was heisst das?
Unsere Mitbewerber können DSL-Leitungen von Swisscom weiterverkaufen, ohne dass der Konsument gleichzeitig einen Telefonanschluss von Swisscom mieten muss. So kann unsere Konkurrenz bald Leistungspakete mit Breitband-Internet und Sprach-Telefonie anbieten, die 30 bis 40% billiger sind, als es vergleichbare Swisscom-Pakete heute sind. Das wird uns unter Druck setzen, und wir werden natürlich reagieren, sobald die ersten Mitbewerber mit neuen Angeboten kommen.
Die Fr. 25.25 pro Monat würden wegfallen, man müsste aber über das Internet oder das Handy telefonieren?Genau.
18. November 2007
Carsten Schloter
Der 44-jährige Betriebswirt und Informationstechniker ist Anfang 2006 vom Mobilfunk- zum Konzernchef der Swisscom aufgestiegen. Unter seiner Führung hat der ehemalige Monopolbetrieb ins Ausland expandiert und eine Mehrheitsbeteiligung am italienischen Breitband-Anbieter Fastweb gekauft. Schloter ist verheiratet und hat drei Kinder. (bis.)
18. November 2007
EU will europäischen Telekom-Binnenmarkt Mehr Kompetenzen und Super-Aufsichtsbehörde gefordert
Die EU-Kommission hat diese Woche ein Reformpaket verabschiedet, das den Wettbewerb im europäischen Telekommunikationsmarkt stärken soll. Ein Kernelement ist die funktionelle Trennung als neue Regulierungsmassnahme. Sie erlaubt es nationalen Aufsichtsbehörden, Telekomkonzerne künftig zu zwingen, ihre Netze von den damit angebotenen Diensten zu trennen. Die Kommission erhofft sich davon einen leichteren Marktzugang für neue Telekomanbieter. Sie will weiter eine neue europaweite Telekom-Aufsichtsbehörde schaffen. Diese soll auch dafür sorgen, dass Dienste wie Breitband-Internet oder Handy-Nutzung im Flugzeug in den 27 EU-Staaten einheitlicher reguliert werden. (bis.)