Holländer sorgen für ungebremstes Internetvergnügen in der Schweiz
Von Angela Barandun. Aktualisiert am 30.09.2009
Stellen Sie sich vor, die Post würde Ihre Briefe öffnen. Anhand von Inhalt, Absender und Empfänger würde sie entscheiden, wie schnell der Brief befördert wird. Wenn sie montags bis mittwochs etwa viele Rechnungen verschicken müsste, würde alles Private bis Donnerstag liegen bleiben. Ausserdem gäbe es Adressen, an welche die Post gar nicht oder immer nur besonders langsam liefert: etwa an Konkurrenten wie Fedex oder DHL.
Ein potenzieller Skandal
Im Fall der Post wäre das ein Skandal. Sie befördert jeden Brief gleich – sie ist neutral. Bei der Briefpost ist diese Neutralität staatlich verordnet, bei der elektronischen hingegen ist das in der Schweiz und in weiten Teilen Europas nicht der Fall. Theoretisch steht es jedem Internetanbieter frei, bestimmte Datenströme zu verlangsamen oder zeitweise zu unterbrechen. Es gibt keine Vorschriften zur Netzneutralität – also der Pflicht, sämtliche Daten gleichberechtigt zu transportieren.
In Holland hat sich dies UPC, eine Schwesterfirma der Cablecom, zunutze gemacht. Während Monaten verlangsamte sie den Datenverkehr mit Onlinetauschbörsen zwischen zwölf Uhr mittags und Mitternacht für sämtliche Kunden auf ein Drittel der abonnierten Geschwindigkeit. Das bestätigt der niederländische Interessenverein Kabelinternet Coax.nl gegenüber dem TA. «UPC vermarktete ihr teures Fiber Power Internet mit dem Argument, dass man Filme damit schneller runterladen kann. Dabei stimmte das in der Praxis gar nicht», sagt Peter de Jong von Coax.nl.
UPC krebst unter Druck zurück
Kein Wunder, waren die Konsumenten sauer. Nach den ersten Zeitungsartikeln dauerte es einen Monat, bis UPC dem öffentlichen Druck nachgab, sagt de Jong: «Plötzlich erklärte UPC, bei der Tempobremse habe es sich nur um Tests gehandelt – und diese seien jetzt vorbei.» In einer öffentlichen Erklärung sagte UPC: «UPC knijpt niet», was so viel heisst wie: «UPC drosselt die abonnierte Geschwindigkeit nicht.» Das war Anfang September. Seither laufen die Downloads von Tauschbörsen wieder deutlich schneller, sagt de Jong.
Offiziell begründet UPC die Tests damit, dass man versuche, «Überbelastungen des Netzes durch sogenannte Heavy User» zu vermeiden. Es sind aber auch andere Motive denkbar. In den USA wurde bereits vor einigen Jahren ein Fall publik, bei dem die Tempobremsen nichts mit Kapazitätsproblemen zu tun hatten. Der Kabelnetzanbieter Comcast hatte die Datenströme zu Onlinetauschbörsen immer wieder heimlich unterbrochen, um dadurch den eigenen Videodienst vor Konkurrenz zu schützen. Tatsächlich können Internetanbieter, die Filme via Onlinevideothek verkaufen, kein Interesse daran haben, dass ihre Kunden dieselben Filme kostenlos via Onlinetauschbörse herunterladen.
Kehrtwende bei Cablecom
Dass sich UPC Holland verpflichtet hat, künftig auf Tempobremsen zu verzichten, ist auch ein Erfolg für die Schweiz. Noch Ende August tönten Vertreter der Cablecom-Spitze gegenüber dem TA an, dass solche Drosselungen auch hierzulande diskutiert werden müssten. Damals war die Cablecom noch klar der Meinung, es gehe nicht an, dass die neuen Hochgeschwindigkeits-Abos Fiber Power Internet, die bis zu doppelt so viel kosten wie ein Durchschnittsabo, missbraucht würden, um reihenweise Kinofilme von Onlinetauschbörsen herunterzuladen.
Drei Wochen später ist das Thema vom Tisch. Die offizielle, von der Europazentrale der Cablecom-Besitzer abgesegnete Stellungnahme zur Tempobremse lautet: «Drosselungen sind für die Cablecom kein Thema. Solche Massnahmen entsprechen nicht unserer Politik.» Erst die Kunden mit höheren Download-Raten zu teureren Abos überreden und gewisse Datenströme dann künstlich verlangsamen – das hätte die Kunden wohl auch in der Schweiz erbost. Und wäre wohl ein schlechter Start für die neue Cablecom gewesen, die sich bald UPC nennen und den «Kunden in den Mittelpunkt» stellen will, wie Cablecom-Chef Eric Tveter Anfangs September im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» versprach. (Tages-Anzeiger)
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