«Standards für interaktives TV lassen sich nicht übers Knie brechen»
Rudolf Fischer, Managing Director von Cablecom, im Gespräch
Interview: S. B.
Rudolf Fischer: Im nächsten Jahr werden wir eine neue Boxen-Generation auf den Markt bringen mit einem deutlich reduzierten Stromverbrauch von weniger als einem Watt. Wir schreiben alle paar Jahre eine neue technische Spezifikation aus und laden Lieferanten ein, eine entsprechende Box zu bauen. Die ältesten Boxen im Markt sind sieben Jahre alt. Das Geschäft mit diesen Boxen ist ein herausforderndes Geschäft. Es wäre für uns einfacher, wenn wir uns um diese Boxen nicht kümmern müssten, wie es bei der Mobilfunkbranche ist, wo nicht jeder Netzbetreiber selber Handys entwickeln muss.
In der Mobiltelefonie haben die Europäer davon profitiert, dass die GSM-Standards von der Politik gesetzt wurden. Die Amerikaner wollten die Standardisierung dem Markt überlassen und haben den Anschluss verpasst. Wäre es für die Kabelnetzbetreiber nicht besser, die Politik würde das Heft in die Hand nehmen?
Bei der Erarbeitung solcher Standards kann die Schweiz keinen Alleingang wagen. Die Schweiz ist ein zu kleiner Markt. Es gibt auf europäischer Ebene bei Euro-Cable-Labs Bestrebungen, solche Standards zu entwickeln.
Warum braucht es neue Standards? Im Rahmen des DVB-Projekts wurden mit der Multimedia Home Platform (MHP) ja doch Techniken für das interaktive Fernsehen (ITV) bereits standardisiert?
Vor einigen Jahren haben wir mit der SRG diskutiert, auf der Basis von MHP gemeinsam ITV zu entwickeln. Zum Glück haben wir das nicht gemacht, wir hätten viel Geld in den Sand gesetzt, da heute niemand mehr von MHP spricht. Jene Kabelnetzbetreiber, die wie z. B. Telenet in Belgien auf MHP gesetzt haben, hatten grosse Schwierigkeiten zu überwinden. MHP ist nicht leistungsfähig genug, ein neuer Standard namens Tru2way geht da einen grossen Schritt weiter.
Panasonic, Samsung, Sony und andere wollen noch in diesem Jahr Tru2way-Geräte ausliefern. Werden die Besitzer eines solchen Geräts Cablecom-ITV ohne Cablecom-Set-Top-Box geniessen können?
Man kann Tru2way nicht einfach 1:1 aus den USA übernehmen, man wird es an europäische Gegebenheiten anpassen müssen. Das dürfte noch ein paar Jahre dauern.
Während die Mobilbranche bereits über die vierte Standardgeneration diskutiert, sind die Kabelnetzbetreiber noch nicht einmal bei der ersten am Ziel. Warum so langsam?
Die Kabelindustrie ist durch viele Turbulenzen hindurchgegangen. Schauen Sie sich an, was mit der Cablecom in den vergangenen Jahren alles passiert ist: Refinanzierung, drei verschiedene Eigentümer. Es gab gewaltige Umwälzungen, wir machen heute 60 Prozent des Umsatzes mit Produkten, die es 1999 noch gar nicht gegeben hat. All diese Ereignisse haben Ressourcen gebunden.
In der Schweiz ist die Swisscom unser grösster Mitbewerber. Die Swisscom hat eine Set-Box bei jedem Kunden. Deshalb müssen auch wir eine Set-Top-Box haben. Nächstes Jahr passiert etwas Entscheidendes: Unser digitales Standardprodukt wird interaktiv. Wir werden TV auf Abruf bringen, damit können Sie einzelne Sendungen der vergangenen Woche abrufen, ohne diese vorher aufzuzeichnen. Erfahrungen aus anderen Ländern, wo dieser Dienst schon erhältlich ist, zeigen, dass das ein riesiger Erfolg sein wird. Wenn es Kunden gibt, deren Boxen interaktives TV nicht unterstützen, die also ein zentrales Element unseres Grundangebots nicht nutzen können, hätten wir einen strategischen Nachteil gegenüber der Swisscom.
Weil ich dann den einzelnen Kunden nicht mehr individuell adressieren kann, was eine Voraussetzung für die interaktiven Dienste ist. Die Swisscom kann über die Box mit ihren Kunden kommunizieren und kann ihr interaktives Angebot flexibel auf die Nutzungsgewohnheiten der Kunden anpassen. Wenn die vorgeschlagene Regulierung die Swisscom einschliessen würde, so hätte ich mehr Verständnis. Dann hätten wir gleich lange Spiesse.
Aber Kunden, die nun einfach nur Digital-TV wollen, kein ITV?
Wir haben nicht Hunderte von Millionen Franken in den Ausbau unserer Netze investiert, eine interaktive Plattform aufgebaut, um dann den Kunden analoges Fernsehen in neuem Kleid anzubieten. Wir haben diese Plattform aufgebaut, um im Wettbewerb zu bestehen. Wir sind gefordert im Wettbewerb mit der Swisscom. Wenn man uns jetzt verbieten will, dass wir unsere Box bei den Kunden haben, dann müssten wir zum Schluss kommen, dass sich Investitionen ins digitale TV nicht lohnen. Wir verdoppeln jedes Jahr die Bandbreite unseres Netzes. Das kostet Jahr für Jahr Hunderte von Millionen Franken. Wir brauchen beim Kunden unsere Box und unser User-Interface und unsere Applikationen. Es werden Erwartungen an uns gestellt, als wären wir ein Staatsbetrieb. Das digitale TV ist ein interaktives TV, und die Interaktivität ist nicht standardisiert. Deshalb brauchen wir während einer Übergangszeit unsere eigene Box. Und weil ich eine Box brauche, brauche ich eine Grundverschlüsselung, um sicherzustellen, dass unsere Box beim Kunden präsent ist. Wenn es in ein paar Jahren entsprechende Standards geben sollte, könnte man auf eine netzspezifische Box verzichten. Es gibt heute keinen Standard, man kann das nicht übers Knie brechen.
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