Wenn Haie in Telefonleitungen beissen
Seekabel schlägt Satellit: Eine Glasfaser überträgt 120 Millionen Telefonate - gleichzeitig
VON MICHAEL SOUKUP
Mein Gott, ist sie hässlich. Potthässlich. Es fehlt ihr die Eleganz eines Passagierdampfers. Sie gleicht eher einem Büchsenöffner, mit ihren vielen merkwürdigen Aufbauten. Dafür kann die Ile de Sein stundenlang auf der Stelle ausharren. Zentimetergenau. Selbst bei Windstärke 9, wenn sich die Wellen bis zu zehn Meter hoch türmen. «Nicht mehr als eine Handbreit weicht sie ab», sagt Frédéric Dubois, Kapitän der CS Ile de Sein, und blickt auf seine Hand.
Der 35-jährige Franzose befehligt eines der mächtigsten Cable Ships der Welt. Mehrere Tausend Pferdestärken Schubkraft - 2000 PS alleine für seitliche Bewegungen - halten mit GPS-Hilfe den Kabelleger auf Kurs. Sonst könnte das Seekabel reissen und in den Tiefen des Ozeans verschwinden. Und damit Hunderte Millionen Telefonleitungen.
Während wir in der gemütlichen Schiffskombüse zu Mittag sitzen, füllt sich der dicke Bauch der Ile de Sein mit einem schier unendlichen Kabel. Bald wird das Schiff nach Island loslegen, um den Inselstaat und Grönland mittels eines 2100 Kilometer langen Telekommunikationskabels zu verbinden. Von da aus geht es nochmals so weit ins kanadische Neufundland. Mit dem 90 Millionen Euro teuren «Greenland Connect» wird eine der letzten Lücken im weltweiten Unterwasserkabelnetz geschlossen.
Mehr als 150 Jahre nachdem das erste Unterwasserkabel im Ärmelkanal gelegt wurde, hat das Seekabel auch im Satellitenzeitalter keineswegs ausgedient. «Im Gegenteil, über 90 Prozent des Sprach- und Internetverkehrs laufen heute über Unterwasserkabel», sagt Frédéric Dubois. Es ist billiger, bietet konkurrenzlos mehr Übertragungskapazität und hat keine lästigen Echos oder Verzögerungen während des Telefongesprächs. Denn das Satellitensignal muss zuerst 36 000 Kilometer hinauf- und wieder heruntergesendet werden.
Das Verstauen des Kabels dauert zwei Wochen
Die 140 Meter lange Ile de Sein liegt bei unserem Besuch im Hafen von Calais. Hier auf der französischen Seite des Ärmelkanals steht auch eine der grössten Kabelfabriken der Welt, die Alcatel Submarine Networks. So können die Kabelschiffe direkt ab Produktion beladen werden. Das Verstauen des mehrere Tausend Tonnen schweren Kabels dauert zwei Wochen - um Schäden beim Abspulen auf hoher See zu vermeiden, muss das Kabel sorgfältig von Hand aufgerollt werden.
Der Standort im äussersten Norden Frankreichs hat nicht nur mit den billigen Arbeitskräften zu tun. Im August 1850 verlegte die Anglo-French Telegraph Company zwischen Calais und Dover das erste Seekabel der Welt. 1891 wurde die heutige Produktionsstätte eröffnet. Sie gehört mittlerweile dem französisch-amerikanischen Telecomausrüster Alcatel-Lucent S.A, einem der weltweit führenden Hersteller und Leger von Seekabel.
Die Mutter aller Kabelschiffe ist die Great Eastern und ironischerweise ein abgetakelter Ozeandampfer. 211 Meter lang und 25 Meter breit war sie während ihrer gesamten Betriebszeit von 1857 bis 1888 das grösste Schiff überhaupt. Das Ungetüm verfügte über Schaufelräder, Schiffsschrauben, Segel und bot 4000 Passagieren Platz. Mangels Nachfrage und wegen mehrerer tödlicher Unfälle fand das schwimmende Monster 1865 seine finale Bestimmung: Als Kabelleger der ersten dauerhaften Transatlantikverbindung. Das Beladen mit dem 5100 Kilometer langen Kabel dauerte fünf Monate. Am 9. September 1866 stand die Telegrafenleitung zwischen Irland und Neufundland. Die Übertragungskapazität hielt sich jedoch in engen Grenzen, sie betrug zehn Wörter pro Stunde.
Erstaunlicherweise war der technische Fortschritt in den nachfolgenden hundert Jahren bescheiden. Als 1956 mit dem TAT-1 das erste transatlantische Telefonkabel seinen Betrieb aufnahm, konnten bloss 36 Telefonate gleichzeitig geführt werden. Vorher war es nur via Langwellenfunk möglich, zwischen dem alten und neuen Kontinent zu telefonieren. Für mehr als 2000 Telefongespräche jährlich reichte die Kapazität aber nicht.
Die Revolution brachte der Wechsel von Kupfer auf Glas. «Bis zu zehn Mal dünner als ein Menschenhaar, kann eine einzige Glasfaser 120 Millionen Telefongespräche gleichzeitig übertragen», sagt George Krebs, Technikchef von Alcatel Submarine Networks. Dabei werden je nach gewünschter Kapazität mehrere Dutzend Fasern in einem Kupferrohr fixiert.
Glasfaser ist offenbar ein Leckerbissen für Haifische
Bei der Installation eines der ersten Glasfaserkabel 1986 stiess die Telefongesellschaft AT&T auf unerwartete Probleme. Kaum war die Optican-I SL zwischen Teneriffa und Gran Canaria versenkt, brach der Kontakt ab. Ein Reparaturschiff zog das Kabel aus mehr als 1000 Meter Tiefe hoch, man fand 50 Haifischzähne, die in der Polymere-Schutzhülle steckten. Die in grossen Tiefen lebenden Krokodils- und Koboldhaie wurden wahrscheinlich vom elektromagnetischen Feld angezogen. Fortan schützte ein spezieller Metallmantel die Faserpaare auch in der Tiefsee.
Im Hollywood-Klassiker «Der weisse Hai 2» stirbt der böse Fisch am Biss in ein Starkstromkabel. «Das ist rein theoretisch denkbar, denn für die Versorgung der digitalen Kommunikationstechnik sind 12 000 Volt nötig», schmunzelt George Krebs. Aber die meiste Gefahr droht in Küstennähe, und zwar vom grössten Meeresraubtier: dem Fischer. Die zunehmende Verbreitung der Schleppnetzfischerei macht den Kabellegern am meisten Sorge. Über die Hälfte aller Kabelschadensfälle gehen auf Schleppnetze zurück. Kleinere Fischerschiffe können zudem von Seekabel in die Tiefe gezogen werden. «In Frankreich sind Fischer verpflichtet, ihr Netz zu kappen und den Vorfall zu melden», so George Krebs. Sie bekommen dann ihr Fischernetz ersetzt. In Vietnam machen Fischer gar gezielt Jagd auf Seekabel, denn ihr Metall bringt mehr Geld als der Fischfang.
Am 21. Juli legte die Ile de Sein Richtung Island ab. Für die Verlegung des ersten Teils nach Grönland waren sechs Wochen vorgesehen. Auf See kann das Kabel mit bis zu 10 Kilometer pro Stunde in die Tiefe gelassen werden. In Küstennähe muss das stärker armierte Kabel verwendet und stellenweise gar im Meeresboden vergraben werden. Deshalb schafft das Kabelschiff pro Stunde höchstens einen Kilometer.
Alcatel-Lucent garantiert eine Lebensdauer von 25 Jahren, die Kabel bleiben aber in der Regel 10 bis 15 Jahre im Gebrauch. Am Ende ihrer Lebenszeit bleiben sie in der Regel im Meer - als Backup. So ist das globale Unterwasserkabelgewirr mittlerweile auf mehrere Milliarden Kilometer angewachsen.
Publiziert am 14.09.2008
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