Tamoil ist der wichtigste Wert des libyschen Staatsfonds in der Schweiz. Der Zugriff ist jedoch schwierig.
Von Daniel Hug
Überall in der Schweiz stehen sie, die 324 Tankstellen von Tamoil. Sie verkaufen Treibstoffe, die in der firmeneigenen Raffinerie in Collombey im Wallis hergestellt werden. Die 1500 Angestellten, die für Tamoil Suisse tätig sind, spüren von den Umwälzungen in Libyen angeblich wenig bis nichts. «Wir können im Moment absolut normal arbeiten», sagt Laurent Paoliello, Sprecher von Tamoil.
Die Gesellschaft hat laut eigenen Angaben im Jahr 2009 einen Umsatz von 2,7 Mrd. Fr. erwirtschaftet. Im Unternehmen stecken beträchtliche Werte: «Wir haben in den letzten Jahren über eine Milliarde Franken zur Modernisierung der Raffinerie Collombey investiert», sagt Paoliello. Wie viel Gewinn Isam Zanati, Verwaltungsratspräsident von Tamoil Suisse, an die niederländische Muttergesellschaft Tamoil Group abführt, ist nicht bekannt. Isam Zanati fungiert jedoch auch als Chef der Firma Oilinvest – sie ist die Muttergesellschaft der Tamoil-Gruppe.
Staatsfonds-Kader auf Liste
Die Muttergesellschaft Oilinvest wiederum gehört dem Staatsfonds «Libyan Investment Authority», der vom Ghadhafi-Clan kontrolliert wird. Mohamed El-Huwej, Verwaltungsrat dieser «Libyan Investment Authority» und Minister für Industrie und Wirtschaft in Tripolis, steht auch auf der Liste der Personen, deren Vermögenswerte der Bundesrat am Donnerstag hat sperren lassen. Denn es ist nicht klar, wohin die Erträge der Beteiligungen letztlich geflossen sind – und immer noch fliessen.
«Die Vermögenswerte von Tamoil sind im Moment nicht blockiert. Es ist prinzipiell möglich, dass Gelder von Tamoil abgezogen werden und in den libyschen Staatsfonds überführt werden», sagt der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth. «Im Fall von Libyen ist die Trennung zwischen der Privat-Schatulle und dem Staatsvermögen jedoch schwierig zu ziehen», urteilt Pieth.
Tamoil dürfte nach der Affäre um die Verhaftung Hannibal Ghadhafis in Genf und dem darauffolgenden Rückzug vieler libyscher Gelder heute der wichtigste Wert der Libyer in der Schweiz sein. Im September 2007, als Ghadhafi 65% von Oilinvest an die US-Finanzgesellschaft Colony Capital LLC verkaufen wollte, wurde dieser Anteil auf 4 Mrd. € geschätzt. Die geplante Teilprivatisierung wurde im letzten Moment aber wieder abgesagt.
Der libysche Staatsfonds besitzt nicht nur Oilinvest, sondern verwaltet insgesamt Vermögenswerte von 60 bis 80 Mrd. $ und verfügt auch über die laufenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Die meisten direkten Wirtschaftsbeteiligungen hält der Staatsfonds in Italien (siehe Kasten).
Rund 32 Mrd. $ soll der libysche Staatsfonds bei amerikanischen Banken angelegt haben, wobei verschiedene Institute jeweils bis zu 500 Mio. $ verwalten. Das steht in einer Depesche, welche der amerikanische Botschafter nach einem Treffen mit dem Chef des Staatsfonds, Mohammed Layas, nach Washington kabelte.
Boykottaufruf gegen Tamoil
Im Gegensatz zur Schweiz wird der Protest gegen Libyen und Tamoil in Deutschland immer lauter. Die Grünen haben am Samstag zum Boykott der 395 Tamoil-Tankstellen aufgerufen.
Die Politikerin Elvira Drobinski-Weiss, stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Ernährung und Verbraucherschutz der SPD-Bundestagsfraktion, fordert zudem Strafmassnahmen gegen Tamoil. Es sei höchste Zeit, dass die EU mit Sanktionen gegen Libyen Ernst mache. «Dabei muss auch ein Zugriff auf europäische Vermögenswerte erfolgen, möglicherweise auch auf das hiesige Mineralölgeschäft und damit Tamoil», sagte sie der «Berliner Zeitung». Tamoil Deutschland erzielte im Jahr 2009 mit ihren knapp 400 Tankstellen einen Gewinn von umgerechnet 150 Mio. Fr. Es könne nicht sein, sagte Drobinski-Weiss, «dass hohe Geldströme aus dem europäischen Geschäft in der derzeitigen Lage dem Ghadhafi-Regime zufliessen».
Libyens Besitztümer
Libyen hält über Staatsfonds (Libyan Investment Authority, Libyan Africa Investment Portfolio) und über die Zentralbank weitverzweigte Beteiligungen:
• In den USA hat der Staatsfonds 32 Mrd. $ bei verschiedenen US-Banken angelegt. Die einzelnen Banken verwalteten jeweils bis zu 500 Mio. $, heisst es in einer US-Botschaftsdepesche, die über Wikileaks enthüllt wurde.
• Der Staatsfonds kontrolliert Oilinvest (NL) B.V., die Muttergesellschaft der Tamoil-Gruppe. 2007 wurde der Wert von Oilinvest auf 6 Mrd. € geschätzt.
• In Italien besitzen die Libyer 7,6% an der Grossbank Unicredit (4,9% via libysche Zentralbank), 2% an Fiat, 2% am Rüstungskonzern Finmeccanica, 2% am Energiekonzern Eni und 7,5% am Fussballklub Juventus Turin.
• In England 3% am Medienkonzern Pearson, der die «Financial Times» herausgibt, sowie 55% am Hedge-Fund FM Capital Partners, der für die Libyer mehrere 100 Mio. $ verwaltet. (dah.)
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