Lidl-Schweiz-Chef Andreas Pohl über Expansionsprobleme, neue Preissenkungsrunden und vorgetäuschte Swissness.
VON BENJAMIN WEINMANN
Herr Pohl, Lidl gibt sich in der Werbung schweizerisch. Trotzdem stellen laut einer Studie nur zwei Prozent der Bevölkerung eine Verbindung zwischen Schweizer Werten und Lidl her. Dieser Wert wurde ermittelt, als wir gerade einmal 20 Filialen hatten. Wir ziehen uns ja nicht einfach ein Schweizer Mäntelchen an und sagen, so, jetzt sind wir alle Schweizer. Wir sind ein international tätiges Unternehmen mit einer eigenen Organisation in der Schweiz und wir passen uns an.
Wie denn? Wir führen ein Schweizer Lohnsystem. Und wir passen das Sortiment dem Schweizer Geschmack an. In ganz Europa verkaufen wir zum Beispiel keine Marroni – nur in der Schweiz. Durch die Schweizer Produkte kommt die Swissness automatisch. Wir setzen uns aber auch mit der Schweizer Kultur auseinander. Wir unterstützen den Schwinger Christian Stucki...
...der am Eidgenössischen nur Dritter wurde. Den Schwingerkönig Kilian Wenger hat Ihnen nun die Migros weggeschnappt. So ist nun mal der Sport. Wir halten aber trotzdem an Christian Stucki fest, auch am nächsten Eidgenössischen.
Tatsache ist doch: Sobald der Agrarfreihandel kommt, ist es um die Swissness bei Lidl geschehen. Dann fliegen die Schweizer Produkte wieder raus. Die Frage ist, was der Konsument will. Wir stellen keine politischen Forderungen. Wir passen uns den Rahmenbedingungen an.
Das klingt nicht nach einem starken Bekenntnis zur Schweiz. Was, wenn der Freihandel kommt, Herr Pohl? Dann werden die Karten neu gemischt, und das müssen wir uns dann anschauen. Wir würden sicher nicht alle Schweizer Agrarprodukte aus dem Sortiment nehmen. Wenn der Konsument sagt, er möchte Schweizer Kopfsalat, dann bekommt er ihn auch. Wenn er aber den tiefsten Preis will, dann sehen wir das als einen Auftrag an uns an.
Wann folgt die nächste Preisrunde? Morgen. Heute Abend beginnt im Fernsehen unsere neue Kampagne. Dafür geben wir 15 Prozent unseres Werbebudgets aus. Wir senken jede Woche rund 17 Artikel des Alltagsbedarfs um 4 bis 14 Prozent, Lidl- aber auch Markenprodukte. Emmis Caffè Latte kostet noch 1.65 statt 1.85, 10 Rollen WC-Papier 3.79 statt 3.99, und 10 Freilandeier nur noch 3.39 statt 3.59 Franken – 80 Rappen weniger als bei Migros.
Die Migros senkte vor zwei Wochen 275 Preise. Coop im ganzen Jahr bisher 800. Ihre 17 Artikel sind mickrig – das ist keine echte Preisrunde. Es bleibt ja nicht bei 17, sondern es kommen jede Woche neue hinzu. Es werden garantiert mehr als 50 sein. Und ein Viertel davon werden Markenartikel sein. Zudem haben wir selber auch schon 360 unserer 1700 Artikel im Preis gesenkt im laufenden Jahr, im Durchschnitt um 9 Prozent – und das bei einem deutlich kleineren Sortiment als bei den Vollsortiment-Händlern, die oft nur Randprodukte senken, wie zum Beispiel Pyjamas und Deos. Wir hingegen senken Alltagsprodukte, die es jetzt schon nirgends günstiger gibt: WC-Papier, Eier, Hackfleisch und Energydrinks.
Tragen die Lieferanten die Preissenkungen mit? Nein, das nehmen wir auf Kosten der eigenen Marge.
Gleichzeitig profitieren Sie aber von tiefen Euro-Einkaufspreisen. Wir geben Preisvorteile wenn möglich an unsere Kunden weiter. Bei diesen Preissenkungen spielt der Euro aber fast keine Rolle. Viele Produkte kommen aus der Schweiz, wie zum Beispiel die Eier oder das Hackfleisch. Zudem konnten wir in den Abläufen und in der Logistik Kostenvorteile erzielen.
Viele Schweizer Produzenten weigern sich nach wie vor, Sie zu beliefern. Emmis Caffè Latte müssen Sie weiterhin aus dem Ausland importieren. Natürlich wollen wir mehr Schweizer Markenprodukte verkaufen. Unsere Türen stehen allen Lieferanten offen. Aber wenn sie nicht wollen, dann wollen sie nicht.
Bei Ihrem Markteintritt beklagten Sie sich bei der Wettbewerbskommission, dass die Produzenten Lidl nicht beliefern, weil Coop Druck auf sie ausübe. Wurden Sie nochmals rechtlich aktiv? Nein, wir haben nicht weiter agiert. Wir haben gute Lieferanten, mit denen wir sehr zufrieden sind. Mit diesem Status quo können wir leben.
Lidl Deutschland ist oftmals günstiger als Lidl Schweiz. Wie stark spüren Sie den Einkaufstourismus? Den bekommen wir in den grenznahen Filialen teilweise zu spüren.
Die Konkurrenz spricht von bis zu 4 Prozent Umsatzeinbussen. Ja, teilweise bewegen sie sich in diesem Bereich. Deshalb lancieren wir in grenznahen Geschäften immer wieder spezielle Aktionen mit zusätzlichem Rabatt.
Heute gibts 54 Lidl-Filialen. Bis Ende Jahr sollen es 60 werden. Und im kommenden Jahr? 2011 planen wir nochmals 30 neue Filialen, so wie dieses Jahr, in welchem wir aufgrund der Expansion zweistellig gewachsen sind. 2012 planen wir etwas zurückhaltender, mit 10 bis 15 Filialen.
Dann brauchen Sie aber noch lange, um Ihrem Fernziel von 200 Filialen näher zu kommen. Vielleicht werden es dann ja auch mehr sein. Aber es ist immer schwierig vorauszusagen, wie sich die Baureglementierungen auf unsere Pläne auswirken. Die Gemeinden befürchten zum Teil, dass es zu viel Verkaufsfläche gibt, und schalten so den Wettbewerb aus. Da braucht es oft Überzeugungsarbeit.
Aktuell beschäftigen Sie 1300 Mitarbeiter. Wie viele neue Stellen schaffen Sie dieses und kommendes Jahr? In einer Filiale arbeiten etwa 15 bis 20 Personen. Somit kreieren wir dieses und kommendes Jahr je circa 450 Stellen.
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