lundi 25 octobre 2010

«SWISSNESS IST KUNDEN EGAL»

Migros-Chef Herbert Bolliger über den Kampf mit den deutschen Billigläden und wie Migros die Nummer 1 bleiben will

von Benita Vogel und Alexandre Haederli

Gehen Sie selbst einkaufen?

Natürlich, jedes Wochenende kaufe ich zusammen mit meiner Frau ein, manchmal muss ich auch alleine gehen.

Was landet in Ihrem Einkaufswagen?

Meine Favoriten sind der frisch gepresste Annas-Best-Orangensaft, das Trockenfleisch und der Hüttenkäse von M-Budget. Den Hüttenkäse liebt auch unser Hund Stella, morgens erhält er jeweils einen Löffel voll.

Laut Marktforscher Nielsen soll Coop die Migros als grössten Lebensmittelhändler ablösen. Wie fühlen Sie sich, bald die Zwei auf dem Rücken zu haben?

Ich fühle mich nach wie vor sehr gut. Migros wird im Detailhandel in der Schweiz nicht von der Spitze verdrängt. Unser Hauptkonkurrent hat keine Chance, uns einzuholen. Ich habe keine Ahnung, wie gerechnet wurde. Wenn die Zahlen stimmen würden, müsste er dieses Jahr ein Wachstum von 20 Prozent pro Jahr haben. Das ist nicht möglich.

Das müssen Sie uns erklären. Immerhin hat Coop laut diesen neuen Zahlen schon einen Marktanteil von 40,5 Prozent, die Migros 40,6.

Diese Zahlen stimmen nicht mit den unseren überein. Ich fürchte, da wurden Äpfel mit Birnen verglichen. Wir liegen laut den Zahlen von Marktforscher GfK mit 19,6 Milliarden Franken Detailhandelsumsatz immer noch 3 Milliarden Franken vor unserem Hauptkonkurrenten.

Erreichen Sie das Ziel von einem Prozent Umsatzwachstum über das ganze Sortiment?

Wir haben dieses Jahr 350 Millionen in tiefere Preise investiert. Das gesamte Sortiment wurde im Schnitt 3 Prozent billiger. Die Preise sind stärker gesunken als erwartet. Wir rechneten für dieses Jahr mit einem Prozent Minusteuerung. Deshalb werden wir das budgetierte Wachstum von einem Prozent kaum erreichen. Aktuell liegen wir auf Vorjahresniveau, da wir mehr Mengen verkaufen konnten.

Coop holt beim Marktanteil also doch weiter auf.

Ich schätze, dass unser Hauptkonkurrent eine leicht bessere Marktanteilsentwicklung hat als wir. Laut unseren Studien gewinnen wir zwar mehr Kunden von Coop, als wir an ihn verlieren. Aber wir haben eine deutlich stärkere Abwanderung von Kunden zu den Harddiscountern als Coop. Wir haben traditionell preissensiblere Kunden als Coop, und die sind weniger loyal.

Die Discounter sind seit 5 Jahren hier, und Migros hat es noch immer nicht geschafft, die Abwanderung von Kunden zu stoppen?

Die Abwanderung geht nicht unendlich weiter. Je dichter das Filialnetz der Discounter wird, desto weniger Kunden wechseln; sie kommen sogar wieder zurück. Im ersten Moment aber lassen sie sich von Schnäppchen anlocken. Die hohe Qualität und Swissness von Migros ist ihnen egal.

Die Qualität ist auch bei Discountern gut, und schweizerisch sind die deutschen auch.

Glauben Sie einem Deutschen, dass er ein Schweizer ist? Das Sortiment muss dem Land angepasst werden, das ist keine Frage. Aber dass sich die deutschen Unternehmen als Schweizer ausgeben, ist für mich nicht glaubwürdig. Uns käme es in den deutschen Filialen nie in den Sinn zu sagen: «Wir sind eine deutsche Migros.» Ich habe Mühe damit, wenn man nicht zu seinen Wurzeln stehen kann.

Lidl lanciert eine neue Preisrunde. Bedauern Sie, in den Preiskampf eingetreten zu sein?

Es gibt keine andere Wahl. Auch wir werden die Preise weiter senken. Der Kampf hört auf, wenn der er zulasten von Mitarbeitern, Umwelt und Tierhaltung geht. Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung und unsere hohen sozialen und ökologischen Standards aufrechterhalten. In Deutschland ist der schöne Sonntagsbraten günstiger als die Büchse Hundefutter. So weit will ich es hier nicht kommen lassen.

Sie warnen vor einer Verschlechterung der Standards, lancieren aber einen Cassis-de-Dijon-Sirup mit weniger Fruchtanteil. Damit fördern Sie schlechte Qualität selbst.

Nein, wir verkaufen beide, der Konsument entscheidet.

Das ist eine einfache Ausrede.

Wir müssen bei Cassis-de-Dijon mitmachen, sonst droht ein Wettbewerbsnachteil, wenn Konkurrenten nur noch den Sirup mit weniger Fruchtanteil verkaufen und der Kunde den Eindruck hat, das sei Schweizer Standard. Zudem glaube ich, die Schweizer sind qualitätsbewusster als die Deutschen. Die Kriegszeit hat die Deutschen stärker geprägt als uns. Zudem geben Deutsche weniger für Lebensmittel aus und leisten sich dafür andere Sachen wie beispielsweise ein grösseres Auto.

Der Euro verbilligt Ihre Einkäufe im Ausland. Weshalb geht es so lange, bis Sie Preissenkungen weitergeben?

Das stimmt nicht. Preisabschläge bei Frischprodukten geben wir sofort weiter. Aber bei längerfristigen Verträgen können wir nicht sofort reagieren. Zudem verkaufen wir zwar viele Importprodukte, aber die bezahlen wir längst nicht alle in Euro. Nivea-Cremen etwa kaufen wir bei Beiersdorf in Basel in Franken. Den Schweizer Ländergesellschaften ausländischer Marken müssen wir jeweils erst begreifbar machen, dass wir den Preisvorteil, den sie wegen des schwächeren Euros haben, an die Konsumenten weitergeben wollen.

Wie will Migros wachsen?

Der jetzt schon stark wachsende Onlinebereich Leshop wird weiterhin ein zweistelliges Wachstum aufweisen. Auch im Anfang Oktober lancierten Unterhaltungselektronik-Onlineshop M-Electronics sehen wir grosses Wachstumspotenzial.

Online wachsen ist heute einfach, wie sieht es bei den Filialen aus?

Hier setzen wir auf die Tankstellenshops Migrolino, von heute 160 Läden werden wir auf über 200 Standorte expandieren. Grosses Wachstum sehe ich auch bei den Wohnaccessoires-Läden Depot-Interio. Im Ausland haben wir schon 80 neue Läden eröffnet.

Dann sind Sie mit Depot im Ausland erfolgreicher als mit den M-Filialen in Deutschland. Die laufen nicht so gut.

Mit Non-Food im Ausland zu wachsen, ist viel einfacher. Der Lebensmittelmarkt in Deutschland ist ein schwieriges Pflaster, wir haben mit der Positionierung oberhalb der Mitte zwar eine Nische besetzt, aber treten gegen starke Platzhirsche an, die ihrerseits nicht stehen geblieben sind. Wir bleiben hier vorsichtig, werden aber nach der Eröffnung im September in Ludwigshafen die fünfte Filiale in Ludwigsburg eröffnen.

Geht auch M-Way ins Ausland?

Das kann ich mir gut vorstellen. Es gibt Elektromobilhersteller in Asien, die Partner in Europa suchen. Eine erste Franchisinganfrage haben wir schon, aber erst wollen wir die Plattform in der Schweiz richtig lancieren.

Einen Wachstumssprung könnte Migros durch einen Zukauf erreichen.

Grosses Wachstum geht in unserer Branche heute nur über Akquisitionen. Das ist aber kein Thema.

Bei Vögele ist Migros mit einem Aktienanteil von 20 Prozent schon in der Poleposition.

Vögele ist ein gutes Finanzinvest- ment. Mehr steckt nicht dahinter.

Kaum zu glauben, zumal es sich bisher nicht gelohnt hat. Die Aktien notieren bei knapp 50 Franken. Als Sie 2008 einstiegen, bei über 80 Franken.

Wenn ich unseren Durchschnittspreis für unsere Anteile anschaue, ist es bis jetzt kein schlechtes Finanzengagement. Wir sind überzeugt, dass sich Charles Vögele gut entwickeln wird.

Wollen Sie Vögele vor ausländischen Investoren retten?

Wir sind nicht der weisse Ritter.

Können Sie sich ein Shop-in-Shop-Konzept vorstellen?

Vögele auf den Migros-Flächen sehe ich nicht. Vögele hat ein gutes Netz in der Schweiz.

Was erwarten Sie vom Weihnachtsgeschäft?

Das entscheiden höhere Mächte. Jetzt kommt die Zeit, in der ich nach Schnee Ausschau halte. Anfang November brauchen wir hier drei bis vier Tage fünf bis zehn Zentimeter Schnee, dann geht die Post ab. Die Konsumentenstimmung ist gut, sodass ich ein gutes Geschäft erwarte.

WoodWing

Publiziert am 24.10.2010


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