Migros-Chef Herbert Bolliger über Konkurrenz, Stagnation und die Rolle einzelner Migros-Firmen
Von Armin Müller und Benita Vogel
Herr Bolliger, Ihre Uhr ist stehen geblieben, sie zeigt sechs an, es ist aber schon acht. Ist das eine Migros-Uhr?
Ich habe am Bruce-Springsteen-Konzert derart geklatscht, dass das Band meiner Uhr kaputt ging. Das hier ist eine Reserveuhr, die ich im Internet gekauft habe.
Apropos kaufen: Die neuen Zahlen zum Detailhandel sind da. Sie zeigen, dass die Branche stagniert. Die Migros auch?
Der Umsatz der Migros-Gruppe ist auf Vorjahresniveau. Die Unterschiede sind aber gross: Le Shop wächst immer noch im zweistelligen Prozentbereich. Migrolino und SportXX laufen ebenfalls sehr gut. Weil die Kunden preissensibler sind, legen auch Denner und M-Budget weiter zu.
Globus leidet also?
Leiden ist übertrieben. Die Kunden kommen in die Läden, aber kaufen für weniger Geld ein. Der Umsatz ist deshalb etwas unter Vorjahr. Auch bei den Möbeln - Micasa und Interio - und im Bekleidungsbereich spüren wir die Rezession.
Was erwarten Sie für die zweite Jahreshälfte?
Wir werden leicht zulegen, auch wenn das Umfeld schwieriger wird und die Preise weiter sinken. Früchte und Gemüse sind im Schnitt 6 Prozent, Fleisch 2 Prozent günstiger geworden. Dieser Trend hält rohstoffbedingt an.
Erreichen Sie das Umsatzziel von 2 Prozent?
Nein, 2 Prozent Wachstum werden wir nicht erreichen. Es wird eher bei einem Prozent liegen.
Das heisst, Migros verliert gegenüber Coop. Der legte im ersten Halbjahr 1,5 Prozent zu.
Nein, wir haben an Marktanteil zugelegt. Das Plus des Hauptkonkurrenten ist expansionsbedingt: Er hat Carrefour-Filialen integriert.
Bauen Sie nun Stellen ab?
Geplant ist nichts. Aber wir werden Ende Jahr sicher weniger Personal haben, wie viel, kann ich nicht sagen. Jeder Filialleiter, der den Umsatz nicht erreicht, muss Stunden abbauen. Zudem werden gewisse Abgänge nicht ersetzt.
Mit Ihren Industrie-Töchtern Mibelle, Midor oder Chocolat Frey beliefern Sie auch ausländische Firmen. Wie stark spürt die Migros die Exportkrise?
Stark, vor allem in England. Das war ein guter Markt insbesondere für Chocolat Frey und Mifa. Wir waren bei Tesco mit Putzmitteln im Sortiment. Wegen der Wechselkursrückgänge von 30 bis
40 Prozent konnten wir aber unsere Kalkulationen nicht mehr halten. Preiserhöhungen waren nicht möglich. Deshalb mussten wir das Geschäft stoppen.
An Ihrem Ziel, den Umsatz bis 2013 zu verdoppeln, halten Sie trotzdem fest?
Ja. Der Markt mit Eigenmarken hat grosses Potenzial. Alle internationalen Händler wollen Eigenmarken ausbauen, niemand hat mehr Erfahrung darin als die Migros.
Lidl ist 100 Tage hier. Ihr Fazit?
Seine Positionierung überrascht mich. Lidl ist hier kein Discounter, sondern ein Supermarkt. Er fokussiert auf Frischprodukte und Swissness. Ich hätte erwartet, dass er sich mit billigeren Markenprodukten positioniert.
Sind Sie erleichtert, dass die Preise nicht tiefer sind?
Nein. Lidl trifft uns an einem heiklen Punkt: Die aggressiven Preise bei den Frischprodukten schmerzen stärker, als wenn er bei den Markenartikeln die Preise heruntergerissen hätte.
Sind das für Sie Dumpingpreise?
Ja. Lidl verkaufte jüngst Bananen für 88 Rappen pro Kilo. Unser billigster Einstandspreis für M-Budget-Bananen liegt bei 1.39 Franken - der Unterschied ist enorm. Gurken und Cherry-Tomaten bezieht Lidl im Ausland, dort ist das Kilo einen Franken günstiger. Wir setzen hingegen auf Schweizer Ware.
Wie reagieren Sie auf Billigpreise?
Mit aggressiveren Aktionen. Anstatt 30 gewähren wir 40 bis 50 Prozent. Wir werden aber nie unter Einstandspreis verkaufen. Das kann sich Lidl, wenn er grösser wird, auch nicht mehr leisten. Das ist nur ein Lockvogel zum Markteintritt.
Wo senken Sie die Preise noch?
Der Butterpreis sinkt auf den 6. Juli um 80 Rappen pro Kilo. Wir können es nicht mehr verantworten, dass der Preisnachlass von Anfang Jahr bei der Milch den Konsumenten nicht weitergegeben wird und der Butterberg immer grösser wird. Die Folge davon ist, dass man die Butter im Ausland verhökern muss und am Schluss der Schweizer Konsument zu viel für die Butter und auch noch die Subvention für den Export zahlen muss.
Wann schreiben Sie die Preise nicht mehr auf das Produkt?
2010 stellen wir in jeder Genossenschaft eine Filiale zum Test um. In der ersten Phase sind die Preise auf Produkt und Regalen angeschrieben. Zudem installieren wir Lesegeräte, damit die Kunden die Preise prüfen können. Wir müssen sicher sein, dass alles reibungslos funktioniert. In der zweiten Hälfte 2010 sollte das Projekt abgeschlossen sein.
Sie haben 2008 die Strategie «Täglich besser leben» für die ganze Gruppe lanciert. Und dabei alle Firmen - Migros, Globus, Migrol, Interio und so weiter - unter die Lupe genommen. Was sind die Folgen?
Wir haben die Rolle aller Firmen überprüft und einigen eine offene Rolle zugewiesen. Firmen wie Le Shop und Migrolino sind Wachstumsträger, in die wir überdurchschnittlich investieren. Daneben müssen wir aber auch Unternehmen haben, die Cash liefern.
Der Öl- und Benzinhändler Migrol ist kein Preisbrecher mehr und unterscheidet sich nicht von der Konkurrenz. Warum haben Sie ihn nicht verkauft?
Das war nie ein Thema. Ich sehe die künftige Rolle von Migrol zum Beispiel als Verkäuferin von alternativen Energien, als Tankstellen für Elektrofahrzeuge oder als Stromlieferantin in einem liberalisierten Markt. So würde die Firma auch zu unserer Nachhaltigkeitsstrategie passen. Die Analyse läuft jetzt.
Hotelplan ist ein Sorgenkind. Passt das Reisegeschäft noch zur Migros?
Ja, das ist stark bei uns verankert. Das Umsatzminus von 20 Prozent in England oder Italien ist für Detailhändler zwar ungewohnt, in der Reisebranche sind Schwankungen in dieser Grössenordnung aber möglich. In der Schweiz liegen wir nur einstellig im Minus. Wir bieten hier aggressive Preise an und können so den Marktanteil ausbauen. Das kostet aber Marge. Die Gesamtgruppe wird 2009 rote Zahlen schreiben.
Haben die Probleme nicht auch mit Managementfehlern zu tun? Hotelplan-intern wird die Kritik laut, dass die Chefs nicht Migros-Qualität haben.
Ist der Druck gross, kommt schnell solche Kritik auf. Wir mussten wegen des Kostendrucks Hotelplan und Travelhouse schneller zusammenführen als geplant und Stellen abbauen. Das ist einer guten Stimmung nicht förderlich. Wir haben aber auf den Schlüsselpositionen sehr gute Leute. Diese haben frischen Wind hineingebracht.
Weshalb beteiligt sich die Migros bei Kuoni, wenn sie selbst Probleme im Reisegeschäft hat?
Kuoni ist als finanzielles Engagement langfristig sehr interessant.
Jetzt könnten Sie Thomas Cook kaufen. Ist das ein Thema?
Nein, das ist ein zu grosser Brocken.
Bei Kleidern wollen Sie mit Vögele in Indien und Fernost einkaufen. Wann ist es so weit?
Das Projekt haben wir abgebrochen. Den Ansatz hatten wir, als Daniel Reinhart noch CEO von Vögele war.
Noch etwas Persönliches: War es für Sie ein Affront, dass Ihr Vorgänger Anton Scherrer Coop-Chef Hansueli Loosli in den Swisscom-VR geholt hat?
Es zeichnet sich ab, dass Herr Loosli beide Präsidien führen wird. Das ist sehr problematisch, weil wir mit Swisscom viele Geschäftsbeziehungen haben. Ein Präsident kann überall Einsicht haben, wenn er will.
Publiziert am 05.07.2009
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