samedi 11 juillet 2009

Jens Alder: «Zeit, dass ich etwas anderes mache»

Jens Alder: «Zeit, dass ich etwas anderes mache»

Jens Alder, ehemaliger Swisscom-Chef, über die Führungsprobleme bei Sunrise, seine neue Karriere als Profi-VR und die Gründe, warum er unter seinem Ruf als Sanierer leidet.

Text: Marc Kowalsky
Bild: Anne Morgenstern

BILANZ: Jens Alder, Sie werden im Herbst Verwaltungsrat bei der Krankenkasse Sanitas und nächstes Jahr deren Präsident. Was reizt Sie an einer Krankenkasse?

Jens Alder:
Erstens das Gesundheitswesen, weil es volkswirtschaftlich eine äusserst wichtige Branche ist. Zweitens eine Krankenkasse, weil sie Vermittler ist zwischen den Leistungserbringern und den Bedürfnisträgern. Drittens die Sanitas, weil sie aus dem privaten Umfeld kommt. Und viertens, weil ich von ihr angefragt wurde.

Zuvor waren Sie Chef des grössten Schweizer Telekomkonzerns mit 17  000 Mitarbeitern, jetzt sind Sie Präsident einer mittelgrossen Krankenkasse mit 700 Mitarbeitern. Ist das Ausdruck der neuen Bescheidenheit, die derzeit so in ist?
Nein. Um vorne zu beginnen: Ich habe die Leitung der Swisscom nie angestrebt, nur schon weil es mathematisch sehr unwahrscheinlich ist, dass es überhaupt so weit kommt. Solche Ziele darf man sich nicht setzen. Es hat sich einfach so ergeben, wofür ich sehr dankbar bin. Was ich hingegen suche, ist das Spannende, das Komplexe, das Interessante einer Aufgabe – das, was noch nicht gelöst ist.

Was für einen Beitrag können Sie bei einer Krankenkasse leisten?
Ich habe Verwaltungsräte gesehen und verschiedene Modelle, wie sie geführt werden. Ich habe eine Meinung, wie man das gut machen kann. Zudem hatte ich schon immer die Neigung, strategisch zu arbeiten. Das ist im Schweizer Aktienrecht ja explizit die Hauptaufgabe des VR. Und im Gesundheitswesen sind ­einige strategische Fragen offen.

Zum Beispiel, wie man die Kosten steigerungen in den Griff bekommt. Was wäre Ihr Ansatz?
Es wäre vermessen zu meinen, der Präsident der Sanitas könnte volkswirtschaftlich Einfluss nehmen.

Sie haben sich den Ruf erarbeitet als jemand, der die Kosten in den Griff bekommt. Ideen haben Sie sicher.
Nicht gross. Die Kostensteigerung ist gegeben, weil die Bevölkerung älter wird und damit mehr Zeit hat, ärztliche Leistungen nachzufragen, und weil medizinischer Fortschritt meist auch mit mehr Kosten verbunden ist. Aber man kann den wirtschaftlichen Mechanismus optimieren.

Konkret?
Ich habe noch keine konkreten Ideen. Ich weiss so viel wie jeder Zeitungsleser. Aber wenn man sich nur die Parameter anschaut: Es ist ja unglaublich, was da für Partikularinteressen gegeneinander ausgespielt werden. Das «Alle gegen alle», wie es seit langem läuft, kann nicht das Optimum sein. Man muss nach vernünftigen Allianzen und Kooperationen suchen. Aber vielleicht ist das Naivität.

Welches Wissen aus der Telekom branche können Sie anwenden?
Ich habe keine Berührungsängste, in einem staatlich regulierten Umfeld zu operieren. Man kann unter jedem Regulierungs regime ein Geschäft machen – man muss nur das Spiel verstehen. Das hilft sicher. Im Übrigen ist das Telekom-Know-how per se nicht relevant.

Aber vermutlich Ihre Kontakte zu den Entscheidungsträgern im Parlament.
Ich glaube nicht, dass die einen grossen Wert haben. Als Präsident der Sanitas hat man keine grosse Lobbying-Aufgabe. Ich bin im Gegenteil der Ansicht, dass wir aus dem gegebenen Rahmen ein Optimum für die Versicherten herausholen sollten. Wir sind ja eine Stiftung, keine AG, und da steht der Shareholder Value nicht im Mittelpunkt.

Halten Sie es für richtig, dass das Volk die Alternativmedizin in den Leistungskatalog aufgenommen hat?
Da bin ich ganz Schweizer: Wenn der Souverän sagt, dass er das so wolle, dann ist das per Definition richtig.

Was halten Sie von der Idee einer Praxisgebühr, wie sie Pascal Couchepin vorschwebt?
Keine Meinung. Dafür verstehe ich noch zu wenig von der Materie. Das Einzige, was mich beunruhigt, ist das Niveau, auf dem geredet wird. Das Gesundheitswesen ist ein Zig-Milliarden-Markt. Und wir streiten uns hier um ein Einsparpotenzial in ­Höhe eines kleinen dreistelligen Millionenbetrages.

Streben Sie nun eine Karriere als Profi-VR an?
Ja, das kann man so sagen. Ich habe mich entschieden, keine exekutive Aufgabe mehr zu übernehmen. Als Verwaltungsrat kann ich mehr beitragen. Zweitens hat es seinen Reiz, das Tätigkeitsspektrum auf andere Branchen auszuweiten. Ich bin ein Telekommensch durch und durch, es wird langsam Zeit, dass ich was anderes mache. Und das geht nicht auf der exekutiven Ebene – denn dafür müsste man die Branche inside out kennen. Und drittens besteht so die Möglichkeit, dass ich nicht 100 Prozent arbeiten muss.

Welche VR-Mandate neben Sunrise und Sanitas haben Sie im Auge?
Ich bin bereits im Board der Copenhagen International School – da präsidiere ich das Finanzkomitee. Da kann man relativ viel bewegen, denn für eine Schule sind die Finanzen nicht oberste Priorität – zumindest bisher. Das hat einen riesigen Reiz. Auch wenn ich nichts verdiene und die Spesen selber bezahle. Und wir haben zu viert ein Unternehmen gegründet, das Banken bei der Restrukturierung von Firmen berät. An diesen Firmen beteiligen wir uns dann auch. Dazu bauen wir auf ein Netzwerk von 50 dänischen Persönlichkeiten aus den verschiedensten Branchen. Das ist ein völlig neues Konzept, für das wir ein sehr positives Echo erhalten aus dänischen Bankenkreisen.

Vor drei Jahren hat Bundesrat Christoph Blocher Ihnen den Kauf der irischen Telekomgesellschaft Eircom verboten, was zu Ihrem Rücktritt als Swisscom-Chef führte. Wie sehen Sie diese Entscheidung mit dem heutigen Abstand?
Ich habe und hatte schon damals eine recht entspannte Haltung dazu: Der Eigentümer bestimmt. Punkt. Der Beweis, ob diese Entscheidung gut oder schlecht war, ist nicht geführt worden, und er wird sich auch nicht führen lassen. Zumindest hat es Swisscom, wie ich heute sehe, nicht geschadet – was mich sehr freut.

Wie haben Sie die Abwahl von Christoph Blocher miterlebt?
Ich musste meinen dänischen Freunden erklären, warum die Abwahl eines Ministers in der Schweiz so einen Riesenwirbel verur sacht. Das sieht man als Schweizer ganz anders als von aussen.

Haben Sie sich klammheimlich gefreut?
(lange Pause) Nein, freuen kann man sich über so etwas wohl grundsätzlich nicht. Aber ich habe mich darüber gefreut, dass das Parlament für einmal einen Entscheid getroffen hat, der für Schweizer Verhältnisse geradezu dramatisch war. Das freut mich als Demokrat: Die Demokratie funktioniert!

Hören wir da ein klein bisschen Genugtuung heraus?
Nein, da versuchen Sie das Gras wachsen zu hören. Ich habe mit Christoph Blocher persönlich immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Er ist ein äusserst interessanter Mensch. Ob aber die Regierung vorher schlecht und nachher gut war oder andersherum, das will ich nicht beurteilen.

Was halten Sie von der heutigen Swisscom?
In diesen Zeiten ist dieser Typus von Unternehmen wohl kein schlechtes Investment.

Wie schätzen Sie die Leistung Ihres Nachfolgers Carsten Schloter ein?
Carsten ist ein Riesentalent. Swisscom ist ein super geführtes Unternehmen. Ich bin beeindruckt. Auch vom Team. Wobei die meisten ja noch aus meiner Zeit sind (lacht).

Sie sind nach Ablauf Ihrer Kündigungsfrist zur direkten Konkurrenz gegangen, der dänischen Sunrise-Mutter TDC. Das ist ungewöhnlich. Hatten Sie kein Konkurrenzverbot?
Nur während der sechsmonatigen Kündigungsfrist. Aber das Wissen über die Konkurrenz hat eine extrem kurze Halbwertszeit. Das nützt eigentlich nichts. Brauchbar ist nur, dass man im gleichen Markt tätig ist und sich nicht gross einarbeiten muss. Und die Hauptaufgabe bei TDC war das dänische Geschäft. Ich habe es sogar als Nachteil empfunden, dass Sunrise eine Tochtergesellschaft ist. Das hat mir Bauchschmerzen verursacht: Man kann nicht acht Jahre lang einen Konkurrenten sehen, gegen ihn ankämpfen und dann einfach den Spiess umdrehen. Das geht nur schon emotional nicht. Wegen dieser Frage hatte ich am meisten gezögert, bevor ich den Job annahm.

War es emotional schwierig für Sie, Ihre 079er-Handynummer einzutauschen gegen eine 076er?
Ich habe keine 076er-Nummer. Ich habe eine +45er.

Heute besteht die halbe Sunrise- Geschäftsleitung aus Ex-Swisscom-Leuten. Hatten Sie kein Verbot, Leute abzuwerben?
Doch, das hatte ich. Und daran habe ich mich auch immer strikt gehalten. Christoph Brand etwa wurde unabhängig von mir von einem Headhunter kontaktiert. Ich habe lediglich eine Referenz für ihn abgegeben, als es um seinen CEO-Job bei Sunrise ging.

Wie haben Sie die Zeit als TDC-Chef erlebt?
Als sehr gute Zeit. Ich konnte sehr viel bewegen. Ich habe dabei auch extrem viel gelernt. Ich dachte zuerst, das sei das Gleiche wie bei Swisscom. Aber es war komplett anders.

Nanu? Von aussen hatte man den Eindruck, Sie hätten wieder dasselbe gemacht wie bei Ihren vorherigen Karrierestationen: Kosten gesenkt, Stellen abgebaut, Firmenteile verkauft.
Das stimmt natürlich – das war auch der Grund, warum ich für diesen Job rekrutiert wurde. TDC war zu wenig fokussiert und operativ zu wenig effizient. Aber das Umfeld war komplett anders: der Markt, die Kultur, die Eigentümer, der Zustand des Unternehmens, die Verfügbarkeit beziehungsweise die Nichtverfügbarkeit der Mittel, die Problemstellungen … Es war ein komplett anderer Job. Es waren die intensivsten Jahre meines Lebens. Ich habe noch nie so viel und so hart gearbeitet und so schwierige Entscheide treffen müssen wie damals.

Haben Sie es genossen, dass Ihnen die Politik nicht dreinreden konnte?
Ja, natürlich.

Welches Korsett ist enger: das der Politiker oder das der Private-Equity-Firmen?
Das kann ich so nicht beantworten. Es sind einfach unterschiedliche Rahmen­bedingungen. Das Korsett der Private Equity ist leichter vorhersehbar. Die Politik ist immer für Überraschungen gut.

Warum sind Sie seit einem halben Jahr nicht mehr CEO bei TDC?
Ich wurde entlassen.

Was haben Sie falsch gemacht?
Der klassische Fall: nichts (lacht). Ich habe heute noch eine sehr gute Beziehung zu meinen ehemaligen Aktionären. Das äussert sich auch darin, dass ich noch immer bei TDC investiert bin, auf beiderseitigen Wunsch hin. Und ich bin noch immer im VR von Sunrise. Weil ich in der Schweiz der Däne bin und in Dänemark der Schweizer – ich bin ein Go-between.

Wie lange noch?
Bis höchstens Ende nächsten Jahres. Danach braucht es diese Rolle nicht mehr. Wenn ich schon vorher keinen Wert mehr beisteuern kann, dann gehe ich früher.

Noch einmal: Warum wurden Sie entlassen?
Die Geschichte, die man mir erzählt hat: «Wir haben dich eingestellt als Restrukturierungsprofi, und das hast du gut gemacht.» Das zeigt auch der Jahresabschluss: Der Turnaround war dramatisch. Bis hierhin kann ich das gut nachvollziehen. Dann wurde mir gesagt: «Jetzt kommt eine neue Phase. Jetzt geht es eher darum, dass wir uns von der Kostenreduktion auf das Wachstum und das Marketing konzentrieren, und da haben wir einen noch Besseren gefunden als dich.» Und da bin ich nicht einverstanden.

Sie sind nicht einverstanden, dass Ihr Nachfolger Henrik Poulsen besser sein soll als Sie?
Der ist fast so gut wie ich (lacht). Nein, mein Nachfolger ist ohne Zweifel ein sehr grosses Talent. Was aber typisch ist für diese Art von Aktionären: null Geduld, permanent auf der Suche nach dem Optimum, keinen Wert auf irgendeine Form der Kontinuität legend. Aber das wusste ich von Anfang an. Wir haben über diesen Fall sogar bei meiner Einstellung geredet. Wenn ich zurückschaue und mir überlege, was ich anders gemacht hätte, komme ich zum Schluss: im Wesentlichen nichts.

Leiden Sie unter dem Ruf, ein Sanierer zu sein, dem man Wachstum offensichtlich nicht zutraut?
Ja, natürlich. Aber daran bin ich ja selbst schuld, wenn ich mir meine Karriere anschaue.

Sunrise hat in zehn Jahren auf dem liberalisierten Telekommarkt gerade einmal 20 Prozent Marktanteil erreicht. Was hat die Firma falsch gemacht?
Als ich das Unternehmen zum ersten Mal von innen gesehen hatte, war ich erstaunt, wie schlecht geführt es war. Ich kann nicht beurteilen, warum. Es ist mit Sicherheit kein effizientes und angesichts der Grösse erstaunlicherweise auch kein besonders agiles Unternehmen. Insofern glaube ich schon, dass Führungsmängel ein wesentlicher Teil des Problems sind.

Und der Rest?
Der Rest hängt mit der Geschichte des Telekommarktes Schweiz zusammen. Die Liberalisierung hat hier viel später begonnen als in anderen Ländern, und das hat natürlich dazu geführt, dass die Marktanteile vom Start an anders verteilt waren als anderswo.

Die Liberalisierung hat nicht nur spät begonnen, Sie haben damals als Swisscom-Chef ja auch alles dafür getan, dass sie erfolgreich verzögert wurde. Bedauern Sie das heute?
Nein, überhaupt nicht. Der Chef von Swisscom hat die vornehme Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es dem Unternehmen Swisscom gut geht. Und wenn politisches Lobbying dazu gehört, dann muss man das gut und intensiv tun.

Und heute denken Sie sich: Hätte ichs doch bloss nicht so weit getrieben?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt ein Leben A und ein Leben B.

Sunrise hat in zehn Jahren acht CEO verbraten. Was ist da schiefgelaufen?
Das hängt damit zusammen, dass das Unternehmen wie gesagt nicht besonders gut geführt war. Und die Führung beginnt beim Verwaltungsrat. Denn acht Chefs in zehn Jahren, so etwas kann ja nicht sein. Das kann nun wirklich nicht sein!

Das heisst, die Eigentümer TDC haben den VR schlecht besetzt.
So sehe ich das.

Sunrise steckt seit Jahren in einer strategischen Sackgasse. Wie wollen Sie die Firma da wieder herausholen?
Strategische Sackgasse ist etwas hart formuliert. Denn erstens hat das Unternehmen ja einen stabilen Marktanteil von rund 20 Prozent. Zweitens verdient es gutes Geld – es gibt einige Firmen, die hätten gerne solche Margen. Das Einzige, was fehlt, ist eine Perspektive für Wachstum: Wir können nicht erwarten, dass wir grosse Sprünge machen beim Marktanteil. Insofern müssen wir eher von einem stabilen Geschäft ausgehen. Das ist zwar nicht besonders aufregend, aber ökonomisch auch nicht unattraktiv.

Das Markenbild von Sunrise ist diffus, steht ein bisschen für billig und sonst für nichts richtig. Wie wollen Sie das ändern?
Wir haben ja Sunrise neu positioniert mit einem neuen Branding, in einem neuen Preissegment und mit neuen Produktangeboten: Die Dienstleistung muss einfach, günstig und verlässlich sein. Das Problem: Wenn man das viele Jahre lang nicht gemacht hat, muss man sich das Vertrauen erst aufbauen. Ich beobachte aber selber, dass Sunrise nun eine schärfere Positionierung hat. Mit dem Weg bin ich sehr zufrieden, auch wenn wir ihn noch einige Zeit gehen müssen. Es muss ja eine Alternative zur Swisscom geben. Das nennt sich Wettbewerb.

Damit Sie eine glaubwürdige Alternative zur Swisscom wären, bräuchten Sie eine eigene letzte Meile. Sie hätten nun die historisch einmalige Chance, ein eigenes Glasfasernetz zu legen und sich so von der Swisscom zu emanzipieren. Sie machen es trotzdem nicht.
Die Wette ist zu gross. Mit privatem Risikokapital rechnet sich das nicht. Punkt. Wenn Sie sich die Wettbewerber auf diesem Markt anschauen: Die sind ja alle mehrheitlich oder ganz staatlich kontrolliert. Das spricht Bände.

Der Eigentümer TDC schiebt noch immer einen Goodwill von 3,4 Milliarden Franken auf Sunrise in seinen Büchern vor sich her. Diesen Wert wird Sunrise kaum je erarbeiten können.
Vermutlich nicht.

Wie sollen die Hauptaktionäre jemals wieder zu ihrem Geld kommen?
Sunrise ist eine Finanzbeteiligung. Die Synergien über die Länder hinweg sind irgendwo zwischen null und vernachlässig bar. Von der Logik her steht Sunrise also irgendwann einmal zum Verkauf.

Wer wären potenzielle Käufer?
Das können reine Finanzinvestoren sein oder irgendein anderer Telekomanbieter, vielleicht mit Ausnahme der lokalen Konkurrenz. Auch ein Börsengang wäre eine Option.

Womit rechnen Sie?
Keine Präferenz. Als Finanzinvestor ist man total opportunistisch. Wenn der Preis stimmt, ist alles möglich. Momentan hat Sunrise aber noch Wertsteigerungspotenzial. Das soll zuerst realisiert werden – zumal die wirtschaftliche Grosswetterlage derzeit ja nicht auf Verkauf steht. Und erst beim Verkauf wird sich herausstellen, wie gut das Geschäft für TDC war. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein gutes Geschäft war, ist äusserst gering, da gehe ich mit Ihnen einig.


Jens Alder (51) wurde in der Schweiz bekannt als CEO von Swisscom, deren Leitung er im Dezember 1999 übernommen hatte. Als der Bundesrat ihm die geplante Auslandexpansion untersagte, schmiss Alder im April 2006 den Bettel hin und wurde kurze Zeit später CEO der dänischen TDC, zu der auch der grösste Swisscom-Konkurrent, Sunrise, gehört. Bei TDC wurde Alder letzten November nach erfolgreichem Turnaround entlassen, er bleibt aber im Verwaltungsrat von Sunrise. Alder, halb Däne, halb Schweizer, begann seine Karriere bei Alcatel und machte sich einen Namen als Sanierer bei Motor- Columbus. Er ist Vater eines Sohnes im Teenager-­Alter und passionierter Mountainbiker.

dimanche 5 juillet 2009

Lidl trifft uns an einem heiklen Punkt

Migros-Chef Herbert Bolliger über Konkurrenz, Stagnation und die Rolle einzelner Migros-Firmen

Von Armin Müller und Benita Vogel

Herr Bolliger, Ihre Uhr ist stehen geblieben, sie zeigt sechs an, es ist aber schon acht. Ist das eine Migros-Uhr?

Ich habe am Bruce-Springsteen-Konzert derart geklatscht, dass das Band meiner Uhr kaputt ging. Das hier ist eine Reserveuhr, die ich im Internet gekauft habe.

Apropos kaufen: Die neuen Zahlen zum Detailhandel sind da. Sie zeigen, dass die Branche stagniert. Die Migros auch?

Der Umsatz der Migros-Gruppe ist auf Vorjahresniveau. Die Unterschiede sind aber gross: Le Shop wächst immer noch im zweistelligen Prozentbereich. Migrolino und SportXX laufen ebenfalls sehr gut. Weil die Kunden preissensibler sind, legen auch Denner und M-Budget weiter zu.

Globus leidet also?

Leiden ist übertrieben. Die Kunden kommen in die Läden, aber kaufen für weniger Geld ein. Der Umsatz ist deshalb etwas unter Vorjahr. Auch bei den Möbeln - Micasa und Interio - und im Bekleidungsbereich spüren wir die Rezession.

Was erwarten Sie für die zweite Jahreshälfte?

Wir werden leicht zulegen, auch wenn das Umfeld schwieriger wird und die Preise weiter sinken. Früchte und Gemüse sind im Schnitt 6 Prozent, Fleisch 2 Prozent günstiger geworden. Dieser Trend hält rohstoffbedingt an.

Erreichen Sie das Umsatzziel von 2 Prozent?

Nein, 2 Prozent Wachstum werden wir nicht erreichen. Es wird eher bei einem Prozent liegen.

Das heisst, Migros verliert gegenüber Coop. Der legte im ersten Halbjahr 1,5 Prozent zu.

Nein, wir haben an Marktanteil zugelegt. Das Plus des Hauptkonkurrenten ist expansionsbedingt: Er hat Carrefour-Filialen integriert.

Bauen Sie nun Stellen ab?

Geplant ist nichts. Aber wir werden Ende Jahr sicher weniger Personal haben, wie viel, kann ich nicht sagen. Jeder Filialleiter, der den Umsatz nicht erreicht, muss Stunden abbauen. Zudem werden gewisse Abgänge nicht ersetzt.

Mit Ihren Industrie-Töchtern Mibelle, Midor oder Chocolat Frey beliefern Sie auch ausländische Firmen. Wie stark spürt die Migros die Exportkrise?

Stark, vor allem in England. Das war ein guter Markt insbesondere für Chocolat Frey und Mifa. Wir waren bei Tesco mit Putzmitteln im Sortiment. Wegen der Wechselkursrückgänge von 30 bis
40 Prozent konnten wir aber unsere Kalkulationen nicht mehr halten. Preiserhöhungen waren nicht möglich. Deshalb mussten wir das Geschäft stoppen.

An Ihrem Ziel, den Umsatz bis 2013 zu verdoppeln, halten Sie trotzdem fest?

Ja. Der Markt mit Eigenmarken hat grosses Potenzial. Alle internationalen Händler wollen Eigenmarken ausbauen, niemand hat mehr Erfahrung darin als die Migros.

Lidl ist 100 Tage hier. Ihr Fazit?

Seine Positionierung überrascht mich. Lidl ist hier kein Discounter, sondern ein Supermarkt. Er fokussiert auf Frischprodukte und Swissness. Ich hätte erwartet, dass er sich mit billigeren Markenprodukten positioniert.

Sind Sie erleichtert, dass die Preise nicht tiefer sind?

Nein. Lidl trifft uns an einem heiklen Punkt: Die aggressiven Preise bei den Frischprodukten schmerzen stärker, als wenn er bei den Markenartikeln die Preise heruntergerissen hätte.

Sind das für Sie Dumpingpreise?

Ja. Lidl verkaufte jüngst Bananen für 88 Rappen pro Kilo. Unser billigster Einstandspreis für M-Budget-Bananen liegt bei 1.39 Franken - der Unterschied ist enorm. Gurken und Cherry-Tomaten bezieht Lidl im Ausland, dort ist das Kilo einen Franken günstiger. Wir setzen hingegen auf Schweizer Ware.

Wie reagieren Sie auf Billigpreise?

Mit aggressiveren Aktionen. Anstatt 30 gewähren wir 40 bis 50 Prozent. Wir werden aber nie unter Einstandspreis verkaufen. Das kann sich Lidl, wenn er grösser wird, auch nicht mehr leisten. Das ist nur ein Lockvogel zum Markteintritt.

Wo senken Sie die Preise noch?

Der Butterpreis sinkt auf den 6. Juli um 80 Rappen pro Kilo. Wir können es nicht mehr verantworten, dass der Preisnachlass von Anfang Jahr bei der Milch den Konsumenten nicht weitergegeben wird und der Butterberg immer grösser wird. Die Folge davon ist, dass man die Butter im Ausland verhökern muss und am Schluss der Schweizer Konsument zu viel für die Butter und auch noch die Subvention für den Export zahlen muss.

Wann schreiben Sie die Preise nicht mehr auf das Produkt?

2010 stellen wir in jeder Genossenschaft eine Filiale zum Test um. In der ersten Phase sind die Preise auf Produkt und Regalen angeschrieben. Zudem installieren wir Lesegeräte, damit die Kunden die Preise prüfen können. Wir müssen sicher sein, dass alles reibungslos funktioniert. In der zweiten Hälfte 2010 sollte das Projekt abgeschlossen sein.

Sie haben 2008 die Strategie «Täglich besser leben» für die ganze Gruppe lanciert. Und dabei alle Firmen - Migros, Globus, Migrol, Interio und so weiter - unter die Lupe genommen. Was sind die Folgen?

Wir haben die Rolle aller Firmen überprüft und einigen eine offene Rolle zugewiesen. Firmen wie Le Shop und Migrolino sind Wachstumsträger, in die wir überdurchschnittlich investieren. Daneben müssen wir aber auch Unternehmen haben, die Cash liefern.

Der Öl- und Benzinhändler Migrol ist kein Preisbrecher mehr und unterscheidet sich nicht von der Konkurrenz. Warum haben Sie ihn nicht verkauft?

Das war nie ein Thema. Ich sehe die künftige Rolle von Migrol zum Beispiel als Verkäuferin von alternativen Energien, als Tankstellen für Elektrofahrzeuge oder als Stromlieferantin in einem liberalisierten Markt. So würde die Firma auch zu unserer Nachhaltigkeitsstrategie passen. Die Analyse läuft jetzt.

Hotelplan ist ein Sorgenkind. Passt das Reisegeschäft noch zur Migros?

Ja, das ist stark bei uns verankert. Das Umsatzminus von 20 Prozent in England oder Italien ist für Detailhändler zwar ungewohnt, in der Reisebranche sind Schwankungen in dieser Grössenordnung aber möglich. In der Schweiz liegen wir nur einstellig im Minus. Wir bieten hier aggressive Preise an und können so den Marktanteil ausbauen. Das kostet aber Marge. Die Gesamtgruppe wird 2009 rote Zahlen schreiben.

Haben die Probleme nicht auch mit Managementfehlern zu tun? Hotelplan-intern wird die Kritik laut, dass die Chefs nicht Migros-Qualität haben.

Ist der Druck gross, kommt schnell solche Kritik auf. Wir mussten wegen des Kostendrucks Hotelplan und Travelhouse schneller zusammenführen als geplant und Stellen abbauen. Das ist einer guten Stimmung nicht förderlich. Wir haben aber auf den Schlüsselpositionen sehr gute Leute. Diese haben frischen Wind hineingebracht.

Weshalb beteiligt sich die Migros bei Kuoni, wenn sie selbst Probleme im Reisegeschäft hat?

Kuoni ist als finanzielles Engagement langfristig sehr interessant.

Jetzt könnten Sie Thomas Cook kaufen. Ist das ein Thema?

Nein, das ist ein zu grosser Brocken.

Bei Kleidern wollen Sie mit Vögele in Indien und Fernost einkaufen. Wann ist es so weit?

Das Projekt haben wir abgebrochen. Den Ansatz hatten wir, als Daniel Reinhart noch CEO von Vögele war.

Noch etwas Persönliches: War es für Sie ein Affront, dass Ihr Vorgänger Anton Scherrer Coop-Chef Hansueli Loosli in den Swisscom-VR geholt hat?

Es zeichnet sich ab, dass Herr Loosli beide Präsidien führen wird. Das ist sehr problematisch, weil wir mit Swisscom viele Geschäftsbeziehungen haben. Ein Präsident kann überall Einsicht haben, wenn er will.


Publiziert am 05.07.2009