Die Nigeria-Connection
Lagos gilt als Eldorado der E-Mail-Betrüger – die SonntagsZeitung war vor Ort
Von Jean François Tanda
Er nennt sich James Williams, er sei Rechtsanwalt. Er möchte uns beide reich machen, sagt er. Alles, was ich dazu tun müsse, sei das Formular ausfüllen, das er mir per E-Mail schicken werde. Und ihm meine Kontonummer angeben. Dann gehörten uns über 12 Millionen Dollar.
Der Mann, der heute James Williams heisst und morgen wahrscheinlich ganz anders, ist erfreut über meinen Anruf. Endlich hat jemand auf seine E-Mail reagiert. Seine Handynummer, die ich gewählt habe, beweist zwar, dass der angebliche Rechtsanwalt nur eine Prepaid-SIM-Karte hat von der Telecom-Gesellschaft Glo in Nigeria. Auch seine E-Mail-Adresse ja_williams2006@yahoo.fr wirkt nicht gerade Vertrauen erweckend. Aber Williams hat auf alles eine Antwort.Er habe auch eine andere Mail-Adresse, sagt er, und zwar ende sie auf @lawyer.com. Das Yahoo-E-Mail-Konto brauche er nur für das eine Millionen-Geschäft mit mir. Er wolle das Geld mit mir teilen; ich dürfe den Verteilschlüssel bestimmen. Woher ich denn komme? Wo ich jetzt sei? «In Nigeria, Lagos», sage ich. Die SonntagsZeitung hat den Spiess umgedreht und sich auf die Suche gemacht nach den legendären Scammern aus Nigeria − also Spammern, die mit Hilfe von Massen-E-Mails versuchen, Leute zu betrügen.Nigeria, Millionenstadt Lagos. Im Stadtteil Festac Town setzt der tropische Mittagsregen ein. Auch heute werden laut hiesigen Polizeiangaben wieder Zehntausende E-Mails das Land verlassen und den Empfängern weltweit Millionengewinne versprechen – alles ohne Aufwand.
In einem von hundert Fällen reagieren die Spam-Empfänger
Williams ist ein Scammer. Der Inhalt der E-Mail, die er mir geschickt hatte, erinnert an viele andere Spam-Mails: Er sei der Anwalt der verstorbenen Dahlia Faiz Albert, hatte er geschrieben, «die ist vom selben Land wie Sie». Die Frau sei bei einem Flugzeugunglück gestorben. Auch die Angehörigen seien alle ums Leben gekommen. Nun liegen 12,3 Millionen brach auf einem Konto, erzählt er am Telefon. Gemeinsam könnten wir das Geld aus Nigeria raustransferieren. In nur vier Arbeitstagen wäre ich Multimillionär – sofern ich genau das machen würde, was er mir sage.
Das Schweizer Bundesamt für Polizei warnt auf seiner Website: «Gehen Sie in keiner Art und Weise auf das Angebot ein, antworten Sie nicht und vernichten Sie das Schreiben bzw. das E‑Mail oder den Fax sowie alle eventuellen Beilagen.» Bei einem Prozent aller Spam-E-Mails aber, schätzt die Polizei in Nigeria, komme es dennoch zu Geschäftskontakten: Der Westler nimmt das Angebot an, und schon beginnen die Probleme. Der Geschäftspartner aus Nigeria meldet «Schwierigkeiten» in der Geschäftsabwicklung. Mit ein paar Tausend Dollar könnten die Schwierigkeiten jedoch behoben werden. Dann heisst es, der Notar wolle doch noch höhere «Gebühren», und ein Regierungsbeamter wolle «Schmiergeld». Das deutsche Bundeskriminalamt warnt: «Alle vorab gezahlten Beträge sind verloren. In keinem bisher bekannten Fall kam es tatsächlich zu einer Übergabe oder Überweisung der Millionen.»In Festac Town in Lagos fahren zwei blaue Mannschaftswagen vor. Sie halten an der 22 Road vor einem Bürohaus mit Glasfassade im Parterre und einem Internetcafé im zweiten Stock. Die Autotüren werden aufgerissen: Acht bewaffnete Männer in schwarzer Kampfmontur steigen aus.
In einem landesweiten Hit werden die 419er besungen
Seit etwa zwei Jahren haben es so genannte Yahoo-Boyz schwer – Leute also wie «Rechtsanwalt» James Williams, die mit ihren Millionenversprechen Tag für Tag die Mailbox verstopfen. Der Name Yahoo-Boyz kommt daher, dass die Scammer mit Vorliebe über Mail-Konten von Yahoo agieren.
Nach Paragraf 419 des nigerianischen Strafgesetzbuches ist der Vorschussbetrug verboten. Eine Sondereinheit kümmert sich um die so genannten 419er: die Economic and Financial Crimes Commission (EFCC).In Festac Town ist die EFCC omnipräsent. «Sie kriegt dich überall und jederzeit», warnt ein Plakat an der Wand des Internetcafés Globalmicrocom. Im selben Raum hängen Zeitungsausschnit- te mit Erfolgsgeschichten der EFCC: Wieder konnte sie zuschlagen und einige Yahoo-Boyz verhaften. Ein Mann im Internetcafé, der seinen Namen nicht nennen will, sagt: «Jedermann hier ist verdächtig.»Im Internetcafé stehen zwei Dutzend Computer. In Gruppen von bis zu drei Personen stehen junge Nigerianer vor den Schirmen. Sie surfen auf Internetseiten, auf denen «Scholarstuff» steht oder «Immigration Service».
Der Manager des Cybercafés steckt in einem zu grossen dunkelblauen Anzug. Er will nicht mit uns sprechen, und bevor er es dann doch tut, will er die Presseausweise sehen. Wie er denn sicher sein könne, dass aus seinem Internet-Café keine Scams verschickt würden? «Wir überwachen jeden PC», sagt er und läuft davon.
Mit Scamming, so brüsten sich junge Nigerianer im Web, lasse sich viel Geld verdienen, bis zu 6000 Dollar im Monat. Zum Vergleich: Ein Kellner verdient monatlich rund 125 Dollar. Wer in Nigeria so viel Geld verdient wie die Scammer, wird bewundert; sie sind heimliche Helden im bevölkerungsreichsten Land Afrikas. «Sie haben grosse Autos, grosse Häuser; ein grosses Leben», sagt ein Einwohner. Mit seinem Song «I Go Chop Your Dollars», einer Ode an die 419er, gelang Nkem Owoh gar ein landesweiter Hit. Darin singt er etwa: «Du bist der Verlierer; ich bin der Gewinner.»Doch nicht nur die im Musikstück besungenen «gierigen weissen Männer» sind Opfer der Nigeria-Connection. Auch die lokale Bevölkerung gehört zu den Verlierern der E-Mail-Spams, made in Nigeria: Keiner traut hier dem anderen. Solange der Verkäufer kein Wechselgeld in den Fingern hat, gibt der Käufer seinen Geldschein nicht her. Bewohner zahlreicher Häuser haben auf ihre Hauswände gepinselt: «Dieses Haus steht nicht zum Verkauf! Vorsicht vor 419! Seid gewarnt!»Festac Town, 22 Road: Die bewaffneten uniformierten Männer vor dem Gebäude des Internetcafés Steadylink haben sich wieder in ihre Autos gesetzt und sind davongebraust. Vor zwei Stunden noch hatten wir uns mit dem Geschäftsführer unterhalten. Er nennt sich Kola. «Wir kennen die Scammer», hatte er gesagt, «wir verkaufen ihnen keine Guthaben, um ins Web zu kommen.» Das habe zwar schon Krach gegeben. «Aber die Polizei rufen wir deswegen nie.» Weshalb also war sie gekommen?
Politik und Scam – zwei Wege, in Nigeria reich zu werden
Die Polizei ist ein «pain in the ass», sagt ein Mann. Auch er will seinen Namen nicht preisgeben. Er sitzt in einem Internetcafé, einer weiteren Adresse, die uns Passanten angegeben haben auf die Frage, wo man denn hier in Festac Town Scammer antreffe. Der Namenlose erzählt, dass hier die Polizei zweimal die Woche vorbeischaue, sich willkürlich Kunden kralle, diese auf den Polizeiposten verschleppe, um sie gegen eine «Bearbeitungsgebühr» wieder freizulassen.
Ein September-Abend in Festac Town an der First Avenue. DJ Hart legt auf, er spielt den Song «Everywhere You Go: Corruption.» Das vor kurzem eröffnete Benny-Hotel mit Swimmingpool und teuren Getränken ist eines von zweien im Stadtteil Festac Town, die sich auf Geschäftsleute und internationale Kundschaft spezialisiert haben. Auch wir sind dort abgestiegen. Das Haus soll angeblich reich gewordenen Scammern gehören. Junge Männer mit goldenen Armbanduhren trinken Bier, telefonieren mit den neusten Handymodellen, sie lungern schon den ganzen Tag herum. «Es gibt in Nigeria zwei Wege, reich zu werden», sagt ein Bewohner von Festac, «Politik und Scam.»