vendredi 23 décembre 2011

Bratwurstzauber in Birmingham

Exportschlager Weihnachtsmarkt


Bratwurstzauber in Birmingham

Von Carsten Volkery



Auf deutsche Invasionsversuche reagieren Engländer allergisch - mit einer Ausnahme: Jedes Jahr im Winter erobern Bratwurst, Glühwein und Blasmusik made in Germany die Fußgängerzonen im Königreich. Der größte Weihnachtsmarkt außerhalb Deutschlands ist in Birmingham.



"Riecht gut", sagt der Mann mit dem grauen Trenchcoat. Meint er eher den Glühwein oder die Bratwurst? "Die Mischung", sagt er und atmet die kalte Luft ein. Diesen unnachahmlichen "German mix". "Happy Christmas Birmingham" steht in großen Leuchtbuchstaben am Rathaus der britischen Millionenstadt. Davor weht eine deutsche Fahne, und ein gelber Wimpel verspricht: "Knobi satt".



Jedes Jahr im Winter drängen sich Dutzende kleiner Bretterbuden in der Fußgängerzone von Birmingham. Der "Frankfurt Christmas Market" wird in großen Containern komplett aus Germany importiert - für ein bisschen Deutschland-Gefühl auf dem Victoria Square. Aachener Printen, Christstollen, Nussknacker, Lammfellpantoffeln und Holzspielzeug, alles so wie auf dem Römer. Selbst der Glühwein wird in Originalbechern mit dem Aufdruck "Frankfurter Weihnachtsmarkt" ausgeschenkt - gegen Pfand natürlich. Die Lebkuchenherzen tragen Aufschriften wie "Schatzi", und auch die Preislisten sind auf Deutsch. Nur gezahlt werden muss in Pfund.



"Die Engländer lieben es", sagt Sabine Peter, eine 47-jährige Verkäuferin, die inmitten von Nussknackern, Räuchermännchen und Weihnachtspyramiden steht. Der Markt ist so erfolgreich, dass er seit 2001 stetig gewachsen ist. Mit 180 Ständen und fast drei Millionen Besuchern ist er nach Angaben der Stadtverwaltung inzwischen der größte Weihnachtsmarkt außerhalb Deutschlands - er zieht mehr Menschen an als die berühmten Pendants in Dresden und Nürnberg.



Kulturexporte Oktoberfest und Weihnachtmarkt



Auch Manchester, Nottingham, Edinburgh und zahlreiche andere britische Städte feiern im Dezember deutsche Glühweinseligkeit. Im Wintererlebnispark im Londoner Hyde Park ist der "German Market" eine der Attraktionen neben "Santa Land" und "Zippo's Christmas Circus". Hier wird die Budenheimeligkeit gleich mit dem anderen deutschen Exportschlager, dem Oktoberfestzelt, kombiniert - ein beliebter Cross-Over im Ausland.



Warum das Konzept gerade in England so eingeschlagen ist, können die Besucher selbst nicht genau erklären. "Ich mag einfach die Weihnachtsstimmung", sagt die 22-jährige Renee Wo aus Hongkong. Sie studiert in Warwick Soziologie und hat mit ihrem Freund einen Abstecher zum Markt nach Birmingham gemacht. Die 47-jährige Sharon Barlow aus Hednesford hat hier ihren ersten Stollen probiert und ist seither ein Fan. "Es gibt so viele Dinge, die man sonst nicht sieht", sagt sie. Besonders überrascht seien die Engländer von der Lebkuchenvielfalt, sagt Diana, eine 23-jährige Verkäuferin aus Herbrechtingen.



Die Rentner Hugh und Janet Durkin haben eine Holzeisenbahn für ihren Enkel erstanden. Die könne man sicher auch in irgendeinem Fachgeschäft kaufen, sagt Janet, aber auf dem Markt sei es viel schöner. Die beiden kommen jedes Jahr. "Es ist ein netter Nachmittagsspaziergang", sagt Hugh. Ach ja, und der Glühwein sei natürlich auch nicht zu verachten.



Das Feierabendbier hat auf der Insel eine lange Tradition, und der Alkoholausschank unter freiem Himmel ist einer der Gründe, warum die Weihnachtsmärkte so populär sind. Trinken auf offener Straße ist sonst verboten, nur für den Weihnachtsmarkt wird eine Ausnahme gemacht: An den Ausgängen mahnen große Schilder, dass man hier den Alkoholsektor verlässt.



Der Mann, der den Budenzauber nach Birmingham gebracht hat, heißt Kurt Stroscher und arbeitet bei der Frankfurter Tourismus und Congress GmbH. Die Premiere 1997 war eigentlich nur als einmaliges städtepartnerschaftliches Projekt zwischen den Schwesterstädten Frankfurt und Birmingham gedacht. Doch das Echo war so groß, dass der Markt 2001 institutionalisiert wurde und in den folgenden Jahren in andere britische Städte expandierte. Es habe zunächst Reibereien mit lokalen Geschäftsleuten gegeben, die Konkurrenz fürchteten, erinnert sich Verkäuferin Peter. Nach einer Unterschriftenaktion der Bevölkerung habe die Stadtverwaltung jedoch die deutschen Newcomer verteidigt.



67 Millionen Pfund Umsatz



Heute ist der Weihnachtsmarkt ein blendend laufendes Geschäft, das die Stadt nicht mehr missen will. Der Umsatz betrug im vergangenen Jahr 67 Millionen Pfund. Dieses Jahr könnte die Rezession das Geschäft ein wenig trüben, aber die Zahl der Stände ist noch einmal gewachsen. Die meisten Verkäufer sind allerdings schon keine Deutschen mehr, sondern Polen, Tschechen und Rumänen. "Die werden richtig ausgebeutet", sagt Erika Lemper, eine 54-jährige Buchhändlerin aus Köln, die auf dem Markt Keramik verkauft. Die teure Standgebühr muss wieder eingespielt werden, und wer Stände in mehreren Städten betreibt, greift gern auf billige Osteuropäer zurück, um die Gewinnmargen zu erhöhen.



Gabriel, ein junger Rumäne, ist für den sechswöchigen Einsatz aus Bistritz eingeflogen. Er schenkt von morgens zehn bis abends um neun "Glühbier" aus und schläft im Hotel. Was er verdient, will er nicht verraten. Für englische Verhältnisse sei es nicht viel, sagt er. Seine Eltern arbeiten schon seit mehreren Jahren jeden Winter auf dem Weihnachtsmarkt in Leeds.



Wie es aussieht, wird sich dieser Trend noch verstärken. Denn der Siegeszug des Weihnachtsmarkts ist ungebrochen. Laut den Veranstaltern liegen Anfragen aus mehreren europäischen Städten vor. Auch Kevin Byrnes Interesse ist geweckt. Der irische Unternehmer steht zwischen den Bretterbuden in Birmingham und denkt bereits über die Logistik nach. "So was brauchen wir auch in Dublin", sagt er. "Damit kann man ein Vermögen machen."







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http://www.spiegel.de/reise/europa/0,1518,666438,00.html


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Fotostrecke: Bratwurst und Blasmusik in Birmingham

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